
„In manchen Geschichtsbüchern kommt der Genozid an Roma und Sinti nicht einmal vor“
Jahrelang verheimlichte Saska Dimic in der Schule ihre Identität als serbische Roma. Der Aktivismus half ihr, Scham und Angst vor Diskriminierung zu überwinden. Sich schließlich doch als Romni vorzustellen, fühlte sich für Saska an wie ein Outing-Prozess. Dass nachfolgende Generationen nicht dieselbe Erfahrung machen müssen wie sie, hat sich die 26-Jährige zum Projekt gemacht.
Der 2. August ist ein wichtiger Tag für die Roma-Community. Es ist der internationale Gedenktag der ermordeten Roma und Sinti im Zweiten Weltkrieg. Die Hochschüler*innenschaft österreichischer Roma und Romnja (HÖR) macht jeden 2. August am Ceija-Stojka-Platz in Wien eine Gedenkveranstaltung. „Das Projekt ist mir eine Herzensangelegenheit“, sagt Saska, Vize-Präsidentin der HÖR. In den Geschichtsbüchern werden Roma und Sinti meist höchstens als Nebensatz erwähnt. „In manchen Geschichtsbüchern kommt der Genozid an Roma und Sinti nicht einmal vor“, bemerkt Saska. Daher wisse die Mehrheitsgesellschaft viel zu wenig über die Verfolgung dieser Volksgruppe im Zweiten Weltkrieg. Im März 1943 wurden 23.000 Roma und Sinti nach Ausschwitz deportiert. Lediglich 3000 von ihnen überlebten bis zum 2. August 1944. In der Nacht wurden sie in den Gaskammern ermordet und das Lager aufgelöst. Insgesamt fielen rund eine halbe Millionen Roma und Sinti dem Völkermord der Nationalsozialisten zum Opfer. Nicht nur in Deutschland und Österreich, sondern in allen besetzten Gebieten, besonders in Südosteuropa, wurden sie systematisch ermordet. „Das sind Informationen, die wir im alltäglichen Leben nicht mitbekommen“, sagt Saska. Um der Geschichte mehr Sichtbarkeit zu verleihen, sei der 2. August als Projekt so wichtig. An diesem Tag kommt jedes Jahr die Roma-Community zusammen, junge Stimmen halten Reden und es spielt Musik. Bis zum Januar 2024 war der Tag in Österreich noch nicht offiziell als Gedenktag anerkannt, obwohl das im Europäischen Parlament schon seit 2015 der Fall ist. Dass Österreich den 2. August nun auch als internationalen Gedenktag der ermordeten Roma und Sinti anerkennt, ist ein Erfolg der zusammenarbeitenden, aktivistischen Roma-Vereine, unter anderem der HÖR. „Das macht mich unglaublich stolz und gibt mir das Gefühl, dass unsere Projekte fruchten“, sagt Saska. Das nächste Ziel der Community ist die Errichtung eines Mahnmals, dass an den Genozid der Roma im Zweiten Weltkrieg erinnert.
Was mich motiviert aktiv zu bleiben ist, dass ich sehe, dass durch eine engagierte Community tatsächlich Veränderung passieren kann.
Saskas Familie war in der Nähe von Belgrad sesshaft, als 1999 der Krieg in Serbien begann. „Das hat dazu geführt, dass wir auswandern mussten“, sagt Saska. Sie war zu dem Zeitpunkt zwei Jahre alt. Ein Teil der Familie flüchtete nach Wien, Saska und ihre Eltern gingen nach Chicago. Als Flüchtlingsfamilie begegneten ihnen strukturelle und finanzielle Schwierigkeiten, sowie sprachliche Barrieren. Fünf Jahre lang versuchten sie sich in den USA ein Leben aufzubauen. „Dann ist Papa ordentlich krank geworden“, sagt Saska. Sie verließen das Land und kamen nach Österreich zum anderen Teil der Familie. Seitdem wohnt Saska in Wien. „Ich bin damit aufgewachsen, dass mir ganz klar war: Wir sind Roma.“ Wenn sie in dem Wiener Gymnasium, dass sie besuchte, nach ihrer Herkunft gefragt wurde, antwortete sie jedoch lange Zeit, dass sie aus Serbien komme. Dann sei immer die zweite, sehr unangenehme Frage gestellt worden: Na, wieso bist du denn so dunkel? „Bis ich 17 Jahre alt war, habe ich in der Schule verheimlicht, dass ich Romni bin.“ Erzählungen von Saskas Vater, darüber, wie oft er aufgrund von seiner Hautfarbe und Ethnizität diskriminiert worden sei, prägten sich bei Saska ein. „Ich habe in seiner Stimme immer wieder diese Hoffnungslosigkeit gehört, im Sinne von, wir werden immer die schwarzen Schafe bleiben und wir können daran nichts ändern.“ Das machte sie wütend und sie erkannte, dass sie das nicht einsehen wollte. Kurz vor der Matura kam Saska zum Aktivismus. Ihr Ziel: das Bild von negativen Vorurteilen gegenüber Roma und Sinti, die in der Literatur, den Medien und der Musik immer wieder reproduziert werden, so gut es geht aufbrechen. Sie entschied sich, ihren Roma-Hintergrund in der Schule nicht länger zu verheimlichen. Es fühlte sich für Saska beinahe wie ein Outing-Prozess an: „Man muss sich da hinstellen und sagen, hey, ich bin Romni, aber keine Sorge, ich klaue nicht, ich bin eine gute Bürgerin.“ Das sei nicht nur zu ihrer Schulzeit so gewesen, sondern halte sich bis heute. Immer wieder müssen junge Rom*nja und Sinti*zze diesen Prozess durchlaufen.
In Österreich sei der Alltagsrassismus laut Saska zwar sehr präsent, jedoch unterschwelliger und indirekter als beispielsweise in ex-jugoslawischen Staaten wie Serbien. Vor der Corona-Pandemie war Saska mit ihrer Familie in Belgrad. Sie wollten sich in ein Café setzen, doch es stand ein Schild davor: We don’t serve Roma. „Zumindest haben sie die Selbstbezeichnung Roma hingeschrieben und nicht das Z-Wort, aber natürlich haben wir uns da nicht hineingesetzt“, sagt Saska. Nationalsozialisten verwendeten das Z-Wort, um Roma und Sinti zu kategorisieren. Sie tätowierten ihnen den Buchstaben „Z“ auf die Haut. Das Z-Wort ist eine abwertende Fremdbezeichnung, die Menschen mit Vorurteilen und Stereotypen behaftet. Solche Schilder wie vor dem Café seien eine Form von offenem und direktem Rassismus, den man in Österreich nicht finde. Hier begegneten Saska andere Arten der Diskriminierung, das klassische „Us vs. Them“, Nachbarschaftsstreitereien, Formulierungen wie „Das ist typisch für euch“, aber auch struktureller Antiziganismus wie Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche, Jobsuche oder im Gesundheitswesen.
Kraft geben Saska in solchen Momenten ihre Community und ihre Aktivismus-Gruppe – zwei sichere Orte, an denen sie sich verstanden fühlt und nicht alleine ist mit ihrem Schmerz. „Ich glaube, das ist ganz wichtig, vor allem auch für junge Menschen, die von Rassismus oder Diskriminierung betroffen sind“, sagt die 26-Jährige, „dass man sich nicht einsam mit seinen inneren Konflikten und Identitätskrisen fühlt.“ Wenn man sich gemeinsam im Größeren für eine Sache einsetzt, die einem wichtig ist, könne man wirklich etwas bewegen, Hand in Hand, Schulter an Schulter, gemeinsam für Frieden arbeiten. „Was mich motiviert aktiv zu bleiben ist, dass ich sehe, dass durch eine engagierte Community tatsächlich Veränderung passieren kann.“
Ich glaube, wenn man das Ziel hat, unterdrückten Stimmen in den verschiedensten Bereichen Sicherheit zu bieten, stärkt man den Frieden.
Saska arbeitet als Antiziganismustrainerin, ist Vize-Präsidentin der HÖR und Pädagogin an einer AHS in Wien. Hauptsächlich, sagt sie, sei die Schnittstelle ihrer drei Arbeitsbereiche die Friedenserziehung. „Es geht um Aufklärung, Bildungsarbeit, Öffentlichkeitsarbeit und Sichtbarmachung von unterdrückten Stimmen.“ Zudem veranstaltet Saska über die HÖR Workshops für Menschen, die von Rassismus betroffen sind. „Damit das ein Safe-Space sein kann, werden nur Menschen eingeladen, die Diskriminierungserfahrungen gemacht haben.“ Es gibt aber auch Antiziganismus-Workshops für alle, die interessiert sind, oder solche Workshops anfragen.
Auf die Frage, was Saska sich für die Zukunft wünscht, antwortet sie, das sei eine Utopie: „Dass vor allem die jüngeren Generationen so gut es geht in einer rassismusfreien Welt ohne Krieg und mit sehr viel Friedenserziehung und demokratischer Bildungsarbeit aufwachsen.“ Das sei ihr besonders wichtig. „Aber Rassismus hab es schon immer, und wird es auch immer geben.“ Deswegen, um realistisch zu bleiben, wünsche sie sich, dass man trotz alltäglichen Rassismus und ständiger Unterdrückung den Menschen Raum bietet, sich sicher zu fühlen. Das gehe Hand in Hand mit politischen Maßnahmen, mit Vereinsarbeit, mit Multiplikatoren und Unterstützer*innen. „Ich glaube, wenn man das Ziel hat, unterdrückten Stimmen in den verschiedensten Bereichen Sicherheit zu bieten, stärkt man den Frieden.“
Interview und Text: Sophie Kofer
Materialien und Workshops zu den Young Peacebuilders
Hier kannst du das Ausstellungs-Plakat von Saška Dimić in A3 als PDF herunterladen (z.B. für die Schule oder Klasse).
Du möchtest wissen wie du mit „Young Peacebuilders“ arbeiten kannst oder einen Workshop buchen? Wende dich an das Friedensbüro Salzburg: https://www.friedensbuero.at/workshops/
Unser Workshop-Angebot, das aus drei Teilen besteht, beschäftigt sich mit den Themen Frieden, Friedensarbeit, Möglichkeiten des Handelns und verschiedenen Ausdrucksformen und kann flexibel gebucht werden.
Friedensbüro Salzburg
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