„Noch nie in meinen Leben habe ich solche Angst gespürt.“

 

Laura Tovar arbeitet für das Centro de Investigación y Educación, eine der ältesten Menschenrechtsorganisationen Kolumbiens. Es ist der vierte August 2022, als sie mit ihrem Team für einen Einsatz nach Riosucio reist, eine Gemeinde im Norden Kolumbiens. Während des Aufenthalts haben gleich zwei ihrer Kolleginnen Geburtstag. Laura kauft Kuchen, abends soll die Feier im Hotel stattfinden, in dem sie untergebracht sind. Auch die Leader der Kollektive, mit denen sie in Riosucio arbeiten, werden dabei sein. Um acht Uhr spielt bereits Musik, sie tanzen und lachen in großer Runde. Nur Lauras Chef läuft immer wieder ans Fenster und auf die Dachterrasse. „Er wirkte komisch auf mich, irgendwie beunruhigt“, erinnert sich Laura. „Wir fragten uns, was mit ihm los war.“ Dann dieser ohrenbetäubende Knall, der Raum erbebt, es ist schlagartig dunkel. 

„Noch nie in meinem Leben habe ich solche Angst gespürt“, sagt Laura. „Wir dachten, der Bombenanschlag richtet sich gegen uns.“ Sie werfen sich panisch auf den Boden und halten sich schützend die Hände über den Kopf. Nur die Hotelbesitzerin bleibt ruhig. Sie lebt schon lange in der Region und hat Erfahrung mit solchen Situationen. Duckt euch, bleibt zusammen, redet nicht, benutzt nicht eure Handys und wartet hier – sie werde nachsehen, was los ist. In der Stadt herrscht Chaos. Die Straßen sind geschlossen, daher bleibt nur der Schiffsverkehr auf dem nahegelegenen Fluss, um Riosucio zu verlassen. Um vier Uhr morgens haben Laura und ihr Team endlich ein Boot organisiert, das sie wegbringen soll. Doch die Hotelbesitzerin, die Leader der Kollektive und auch alle anderen Bewohner*innen der Stadt bleiben dort. „Es war sehr schwer, sie zurückzulassen“, sagt Laura. „Wir waren nur Besucher, wir konnten einfach wieder abreisen und nachhause gehen – aber sie alle leben dort, sie können so einfach nirgendwo hin.“ Immer wieder erleben die Menschen dort solche Situationen und erfahren die Angst, die auch Laura gespürt hat. Später wird bekannt gegeben: Eine paramilitärische Gruppe hatte die örtliche Polizeistation attackiert. 

Wir wissen, dass es schwierige Verhandlungen geben wird, aber wir sind bereit und ich freue mich sehr darauf.

Solche gewaltsamen Konflikte passieren häufig im kolumbianischen Gebiet Chocó, in dem auch Riosucio liegt. Chocó grenzt an den Pazifik und ist Teil des Amazonasgebiets, das sich Kolumbien mit Brasilien und Peru teilt – eine attraktive geographische Lage, die von bewaffneten Gruppen strategisch genutzt wird, um natürliche Ressourcen auszubeuten und Drogenhandel zu betreiben. Diese Gruppen bestehen aus paramilitärischen Einheiten oder Guerillas, die jeweils versuchen, das Gebiet zu kontrollieren – Gebiet, das Schwarzen und indigenen Gemeinschaften gehört. „Das Ziel des NGO-Teams ist es, die Rechte dieser Kollektive zu verteidigen“, erklärt Laura, „besonders ihr Recht auf Land und die Kontrolle über ihre eigenen Territorien, um sie vor Ausbeutung zu schützen.“ Ihr Team arbeitet zudem daran, die Gemeinschaften als solche zu stärken, indem sie Bildungs- und Informationsprogramme anbieten. Dadurch machen sie auch auf die Strategien der Paramilitärs und Guerillas aufmerksam, die diese benutzen, um Schwarze und indigene Menschen zu rekrutieren und die Gemeinschaften gezielt zu spalten. 

Seit sie 23 ist, arbeitet Laura an Themen rund um den Friedensaufbau, seit drei Jahren ist sie Teil der NGO. Ihre Aufgaben sind vielfältig: Wenn sie nicht gerade Workshops im Chocó gibt, arbeitet sie von Bogotá aus. „Dort forschen wir, nehmen an Veranstaltungen teil, um unsere Erfahrungen zu teilen, betreiben Öffentlichkeitsarbeit und sprechen mit verschiedenen Institutionen und den Medien, um zu zeigen, was in Chocó passiert“, erklärt sie. Laura hat in England einen Master in Friedens-, Konflikt- und Entwicklungsforschung absolviert. „Mein Fachgebiet ist Friedensaufbau, aber Geschlechter- und Umweltthemen sind eng damit verbunden“, sagt sie. In der darauffolgenden Woche nach unserem Interview etwa werde es ein Treffen geben, bei dem zwölf Anführer*innen aus Schwarzen und indigenen Gemeinschaften nach Bogotá reisen, um mit verschiedenen Ministerien, den Vereinten Nationen und der spanischen Botschaft zu sprechen. „Sie werden auf Umweltkrisen aufmerksam machen, die ihre Gebiete betreffen, wie Abholzung und Verschmutzung von Flüssen“, erklärt Laura. „Wir haben vorab gemeinsam mit ihnen konkrete Lösungsvorschläge entwickelt, die sie den Regierungen und Organisationen präsentieren werden.“ Diese könnten so dazu gebracht werden, sich zu verpflichten, etwas zu tun. „Wir wissen, dass es schwierige Verhandlungen geben wird, aber wir sind bereit und ich freue mich sehr darauf.“ 

Ihre Arbeit erfülle sie zwar sehr, aber erfordere auch viel Energie. „Friedensförderung in Kolumbien ist schwierig, da wir seit mehr als 60 Jahren im Konflikt leben“, erklärt Laura. „Es kann erschöpfend und frustrierend sein, weil der Prozess so langsam vorangeht.“ Vor allem bei älteren Leuten in ihrem Arbeitsfeld sei das bemerkbar: Sie wirkten oft müde oder sogar hoffnungslos. „Als junge Frau habe ich noch Hoffnung und glaube, dass sich Dinge ändern können“, sagt Laura. „Ich habe Veränderungen gesehen – auch wenn sie langsam vorangehen.“ Zum Beispiel sei das Friedensabkommen mit der FARC, einer der größten Guerillas Kolumbiens, ein historischer Moment gewesen. Es habe ihnen allen, die im Bereich Friedensförderung arbeiten, Hoffnung und Energie gegeben. „Es zeigt, dass Veränderung möglich ist.“ 

Interview und Text: Sophie Kofer

Materialien und Workshops zu den Young Peacebuilders

Die Menschenrechtsorganisation in Columbien, bei der Laura Tovar arbeitet heißt Centro de Investigación y Educación Popular/Programa por la Paz (Cinep/PPP) https://cinep.org.co/

Hier kannst du das Ausstellungs-Plakat von Laura Tovar in A3 als PDF herunterladen (z.B. für die Schule oder Klasse).

Du möchtest wissen wie du mit „Young Peacebuilders“ arbeiten kannst oder einen Workshop buchen? Wende dich an das Friedensbüro Salzburg: https://www.friedensbuero.at/workshops/

Unser Workshop-Angebot, das aus drei Teilen besteht, beschäftigt sich mit den Themen Frieden, Friedensarbeit, Möglichkeiten des Handelns und verschiedenen Ausdrucksformen und kann flexibel gebucht werden.

Friedensbüro Salzburg
Lasserstraße 30/3
5020 Salzburg
Tel.: +43 (0) 662/ 87 39 31
Email: office@friedensbuero.at
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