
„Kriege hindern einen daran, an die Zukunft zu denken.“
Dorcas, du hast im Jahr 2020 im Alter von 28 Jahren mit einer ehemaligen Schulfreundin ein Projekt gegründet, das Menschen in Kenia mit Essenspaketen am Leben hält. Wo siehst du die Verbindung zwischen deiner Arbeit und Frieden?
2007 brach in Kenia nach den Wahlen ein bewaffneter Konflikt aus. Dieser dauerte zwar lediglich einige Wochen. Trotzdem erleben wir seit dieser Zeit immer noch eine Art von Krieg in Kenia und eines der Merkmale davon ist Armut. Kriege hindert einen daran, an die Zukunft zu denken. Man denkt nur an das Jetzt. Wie überlebe ich heute? Mit der Armut ist es das Gleiche: Die Menschen sind in Aufruhr. Werde ich heute genug zu essen haben? Kann ich meine Familie ernähren? Das hindert sie daran, Zukunftsvisionen zu haben. In diesem Kontext sehen wir uns als Friedensbringer. In dem Sinne, dass wir diese Unruhen und seelischen Ängste beruhigen, die den Menschen schlaflose Nächte bereiten. Wir wissen, dass wir ihnen Hoffnung geben, wenn wir die Frage, wie sie heute überleben werden, beantworten können. Vielleicht geben wir ihnen sogar genug Hoffnung, Visionen zu entwickeln, wie sie der Armut langfristig entkommen können.
Wer sind die Menschen, die ihr unterstützt?
Unsere Zielgruppe sind alleinerziehende Mütter und Großmütter. Armut ist ein Kreislauf: Wenn Menschen arm sind, sind es auch ihre Kinder und Enkelkinder. Um Geld verdienen zu können, müssen viele Frauen die Familie verlassen und zur Arbeitssuche aufbrechen. Die Großmütter bleiben dann alleine mit den Enkelkindern zurück. Irgendwie gelingt es den meisten Männern, sich dabei auszuklinken. Dadurch haben Frauen oft nicht die Möglichkeit zu arbeiten und werden zu einer sehr verletzlichen Gruppe. Wir unterstützen zudem Menschen, die körperlich behindert sind. Es gibt nicht viele Organisationen in Kenia, die sich diesen Menschen annehmen.
In dem Moment, in dem man eine Person dabei unterstützt sich erfolgreich aus ihrer Not zu befreien, wird sie es weitererzählen, und schon beginnt das Netzwerk sich zu vergrößern.
Wie sieht eure Unterstützung konkret aus?
Wir arbeiten mit sechs Freiwilligen vor Ort zusammen. Sie gehen für uns einkaufen, um die Pakete zu befüllen: zehn Kilo Maismehl, das Grundnahrungsmittel in Kenia, Reis, Mungbohnen, Speiseöl, außerdem Seife, denn Hygiene ist auch sehr wichtig. Kinder, die sich und ihre Schulkleidung nicht waschen können, sieht man selten in der Schule. Ich bin währenddessen live über Whatsapp mit den Freiwilligen in Kontakt. Ich frage: Okay, bist du im Laden? Wie sind die Preise im Moment? Ist es jetzt an der Zeit zu bezahlen? Wenn alles bereit ist, tätige ich die Zahlung aus der Ferne, von Österreich aus. Zum Glück funktioniert das in Kenia. Die Freiwilligen leiten das Geld direkt an die Verkäufer weiter. Der nächste Schritt ist die Paketverteilung. Wir versuchen, die Freiwilligen mit Menschen in Verbindung zu bringen, die sehr begrenzte Ressourcen haben, also nicht einmal ein Telefon oder ein Handy. Um diese Leute zu kontaktieren und ihnen mitzuteilen, wann und wo die Pakete verteilt werden, organisieren wir sie in Gruppen mit Gruppenleitern als Vermittler. Die Freiwilligen nehmen Kontakt zu den Gruppenleitern auf, die dann die Botschaft an die Gruppe weitergeben.
Welche Zugänge haben es euch anfangs ermöglicht, die Menschen in dieser Form zu organisieren?
Wir sind beide aus Kenia und haben dort unseren Schulabschluss gemacht. Daher kennen wir uns aus. Wir begannen mit einer einzigen Frau, einer Bekannten, die in ihrem Umfeld für uns nachfragte, welche Menschen überhaupt bedürftig sind. Es funktionierte über Netzwerke: Man kennt jemanden, der jemanden kennt, der in Not ist. In dem Moment, in dem man eine Person dabei unterstützt sich erfolgreich aus ihrer Not zu befreien, wird sie es weitererzählen, und schon beginnt das Netzwerk sich zu vergrößern. Unsere Mütter und weitere Bekannte waren dabei unsere Hände und Füße vor Ort. Sie taten mit großer Leidenschaft alles, was wir von Österreich und Australien aus nicht tun konnten. Sie hatten direkten Kontakt zu den Gemeinden und leisteten Vernetzungsarbeit. Eine überraschende große Hilfe waren unsere Freiwilligen, die in den Gegenden unserer Zielgruppen leben, denn sie engagierten sich bereits in ihren Gemeinden – und sie verfügten lediglich über persönliche Ressourcen, hatten also sehr begrenzte Mittel.
Welche Ressourcen hattet ihr zu Beginn als Gründer*innen der Organisation?
Auch wir starteten mit unseren persönlichen Mitteln. Die Organisation ist von Spendern abhängig, und am Anfang waren wir die einzigen Spender. Aber wegen des Währungsunterschieds konnten wir mit dem wenigen Geld, das wir in Österreich und Australien hatten, in Kenia viel erreichen. Dann stiegen die Kirchengemeinden, die wir in Österreich und Australien besuchen, finanziell mit ein und halfen uns sehr. Die kenianischen Kirchen stellten uns Räumlichkeiten vor Ort zur Verfügung, in denen wir uns mit den Beteiligten treffen konnten. Durch Mund-zu-Mund-Propaganda fanden sich im Laufe der Zeit immer wieder Spender, sodass die Organisation weiterbestehen kann.
Was hat dich inspiriert, diese Organisation zu gründen?
Kenia ist nicht in der gleichen Situation wie Österreich. Es gibt kein Sozialsystem, das Menschen vor plötzlichen wirtschaftlichen Instabilitäten schützt. Seit Beginn der Corona-Pandemie litten und leiden viele Menschen unter Armut. Wir wollen verhindern, dass sie hungrig schlafen müssen. Eine große Inspiration ist für mich die selbstlose Liebe, die ich als Christin empfinde. Es geht darum Menschen zu lieben. Einfach generell Menschen. Ich kenne keine Grenzen in Bezug auf Religions- oder Stammeszugehörigkeit. Es ist mir egal, wer an was glaubt oder wer was tut. Menschen in Armut brauchen einfach nur Hilfe. Das war’s.
Welche Herausforderungen stehen dir und der Organisation derzeit bevor?
Wir sind zurzeit noch als Hilfsorganisation registriert. Eine Hilfsorganisation sorgt für Nahrung, wir halten die Menschen am Leben. Wir können nicht wirklich tief in das Leben der Menschen eindringen, da wir strukturell eingeschränkt sind. Aber das ist unser Wunsch: Wir würden gerne eine gemeindebasierte Organisation werden und Schulungen durchführen. Wir wollen Menschen helfen, sich selbst zu helfen, sodass Sie nicht von uns abhängig sind. Unser Ziel ist es Mädchen bis zum Abschluss der High-School bringen und Frauen in der Landwirtschaft auszubilden. Dafür brauchen wir qualifiziertes Personal und qualifiziertes Personal braucht Bezahlung. Von Freiwilligen kann man nie mehr verlangen, als sie zu geben bereit sind. Hätten wir mehr finanzielle Mittel, könnten wir zusätzlich zu unseren Freiwilligen auch Angestellte beschäftigen.
Es ist eine Ermutigung, auch in schwierigen Zeiten weiterzukommen und Kraft darin zu finden, wieder aufzustehen.
Was motiviert dich trotz finanzieller Herausforderungen weiterzumachen?
Wenn ich sehe, wie viel wir erreichen konnten, vor allem am Anfang, als alles noch ganz klein war, treibt mich das an. Es gab so viele Menschen, die uns geholfen haben, die bereit waren, das Projekt zu unterstützen. Es gibt immer noch sehr viel Gutes in der Welt, auch wenn eine Menge verrückter Dinge passieren. Wir haben schon viel inmitten großer Herausforderungen erreicht. Es ist eine Ermutigung, auch in schwierigen Zeiten weiterzukommen und Kraft darin zu finden, wieder aufzustehen.
Warum sollten junge Menschen sich engagieren?
Ich glaube, es ist eher natürlich, dass man seiner Familie, seinen Mitmenschen, seinen Nachbarn helfen möchte. Aber es ist ein befriedigendes Gefühl, wenn ich weiß, dass ich jemandem geholfen habe, der mich nicht irgendwann mit Lob überschüttet und meinen Namen den Nachbarn vorsingt. Zu wissen, dass man Teil eines positiven Einflusses war, der gegen die bösen Kräfte kämpft, die es in der Welt gibt, ist so befriedigend. Wirklich, wirklich befriedigend. Es ist, als wäre man jemand, der zwischen zwei Kräften vermittelt, und man wird zu diesem Zentrum, das Ruhe bringt. Das ist absolut wunderbar.
Interview und Text: Sophie Kofer
Materialien und Workshops zu den Young Peacebuilders
Informationen über Dorcas Thigas Projekt findest du hier: https://answeredprayer.at/
Hier kannst du das Ausstellungs-Plakat von Dorcas Thiga in A3 als PDF herunterladen (z.B. für die Schule oder Klasse).
Du möchtest wissen wie du mit „Young Peacebuilders“ arbeiten kannst oder einen Workshop buchen? Wende dich an das Friedensbüro Salzburg: https://www.friedensbuero.at/workshops/
Unser Workshop-Angebot, das aus drei Teilen besteht, beschäftigt sich mit den Themen Frieden, Friedensarbeit, Möglichkeiten des Handelns und verschiedenen Ausdrucksformen und kann flexibel gebucht werden.
Friedensbüro Salzburg
Lasserstraße 30/3
5020 Salzburg
Tel.: +43 (0) 662/ 87 39 31
Email: office@friedensbuero.at
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