Traditionen der Konfliktbearbeitung

Jede kulturelle Gemeinschaft hat ihre eigenen Traditionen der Konfliktbearbeitung. Das kann mit den eigenen Identitätsgruppen zu tun haben (männlich–weiblich, ländlich–städtisch, bürgerlich–proletarisch etc.), aber auch mit weit in die Geschichte reichenden, schriftlich oder mündlich überlieferten Verhaltenskodizes. Die Kenntnis der jeweiligen kulturellen Zugänge zu Konflikten, von Tabuisierungen und ungeschriebenen Gesetzen einer Gruppe sind von großer Bedeutung, wenn es darum geht, interkulturelle Konflikte zu bearbeiten oder zu moderieren.

Die BewohnerInnen Afghanistans haben durch ihre zahlreichen erfolgreichen Widerstände gegen fremde Mächte das Image eines Volkes bekommen, das nach individueller Freiheit strebt und diese auch mit allen Mitteln verteidigt.
Vor allem der Stamm der PaschtunInnen hat sich dieses Prinzip zum Ehrenkodex gemacht. Dieser Kodex wird Pashtunwali genannt und grenzt die PaschtunInnen gewissermaßen von den anderen Stämmen ab. Auch wenn das Pashtunwali nicht allen PaschtunInnen vertraut ist, enthält es laut Alfred Janata und Reihanodin Hassas doch „sowohl Stammrecht als auch Ehrenkodex. Im weitesten Sinn umfasst es auch das gesamte Brauchtum“   und wird von ihnen als Ausdruck ihres praktizierten Islams verstanden. Zum Teil dient es auch als Richtlinie zur Kindererziehung sowie Konfliktlösung.

Das Pashtunwali enthält zentrale Begriffe, in denen sich die Wertvorstellungen, Normen und Idealbilder der PaschtunInnen, aber auch einiger anderer afghanischen Identitätsgruppen sehr gut widerspiegeln.

Die zentralen Begriffe des Pashtunwali

  • gheyratman
    Dieser Begriff umfasst alle edlen Eigenschaften, die zur Ehre und Würde der PaschtunInnen gehören.
  • nang
    Nang bedeutet einerseits Ehre, Würde, Mut und Tapferkeit, beinhaltet aber auch deren Verletzung, was Scham und Schande mit sich bringt.
    Ein „nangialai“ ist eine Person, die ihrem Stamm Ruhm und Ehre bringt. Das Gegenteil davon wäre „benanga“ und bedeutet soviel wie ehr- oder würdelos.
  • sharm
    Dieser Begriff lässt sich mit Wörtern wie Scham oder Schande übersetzen und bezieht sich häufig auf das Verhalten der weiblichen Stammesmitglieder.
  • namus
    Namus bezieht sich noch deutlicher auf die Ehrbarkeit der paschtunischen Frauen und den Schutz, den sie durch ihre verwandten Männer erhalten. Es besteht die Vorstellung, vor allem junge Frauen würden zu Unvernunft und mangelnder Selbstkontrolle tendieren – auch in Bezug auf ihre sexuellen Aktivitäten. Tatsächlich definiert sich die Ehre der Männer nämlich zu einem großen Teil über die Ehrbarkeit der mit ihnen verwandten Frauen.
    Dadurch entsteht auch die Konsequenz für Paschtuninnen: Frauen müssten streng kontrolliert und geschützt werden, um die Ehre der Familie zu wahren.
  • tur und aql
    Tur bezeichnet den Begriff Kriegertum und Schwert. Ein „turialai“ ist demnach ein ehrwürdiger Kämpfer, der sich selbst und seinem Clan zu Ehre verhilft. Diese Eigenschaften werden eher jüngeren Männern des Stammes zugesprochen.
    Aql bedeutet soviel wie Vernunft und soziale Verantwortung, welche die Älteren, die“Weißbärte“, besitzen. Sie kontrollieren und lenken die tur der jüngeren.
  • khan
    Personen, die sowohl tur als auch agl besitzen, haben die wichtigste Voraussetzung, ein „khan“, also ein anerkannter Herr, zu werden, dessen Meinung viel Bedeutung geschenkt wird.
  • badal
    Wird ein Stammesmitglied entwürdigt, reagiert es mit Bestrafung oder badal. Badal heißt „Gleiches mit Gleichem vergelten“.

Diese Liste der Begriffe ist nicht vollständig, lässt aber schon einen ersten Eindruck des Pashtunwali zu. Allerdings darf nicht vergessen werden, dass dieser Kodex nicht unter allen PaschtunInnen verbreitet ist. Mittlerweile haben sich sehr viele Familienclans innerhalb der PaschtunInnen aus verschiedenen Gründen von diesem Kodex getrennt und ihre Wertvorstellungen geändert. (red)

Lesetipps und Links

iicp (abgerufen am 7.1.2018)

Uli Jäger. Soft Power. Wege ziviler Konfltikbearbeitung. Ein Lern- und Arbeitsbuch für die Bildungsarbeit und den Unterricht. Verein für Friedenspädagogik Tübingen e. V., Tübingen 1996.

Quellen

Bernt Glatzer (2000): Zum Pashtunwali als ethnischem Selbstportrait. Beitrag zu: Günter Best & Reinhart Käßler (Hg.): Subjekte und Systeme: Soziologische und anthropologische Annäherungen. Frankfurt: IKO-Verlag

Bildquelle:

Dr.S.Ali.Wasif (creative commons) (abgerufen am 7.1.2018)