Das Massaker im Amiriyah-Bunker
Am 13. Februar 1991 bombardierte die US-Luftwaffe einen Bunker im Bagdader Wohnviertel Amiriyah, in dem sie militärische Einheiten vermuteten. Tatsächlich befanden sich ausschließlich Frauen und Kinder in diesem Bunker, der völlig zerstört wurde. Etwa 400 Menschen fanden bei diesem Angriff den Tod. Die bekannte Bagdader Bloggerin Riverbend beschreibt diese Tragödie ausführlich in ihrem Blog.
„Wisst ihr welcher Tag gestern war? Es war der 13. Jahrestag des Massakers im Amiriyah-Bunker am 13. Februar 1991. Kann man wirklich von einem Jahrestag sprechen? Bei «Jahrestag» muss ich an schöne Dinge denken, und doch fällt mir kein anderes Wort ein. Falls ihr ein anderes wisst, schreibt es mir bitte.
Der 12. Februar 1991 zählte zu den Feiertagen des kleinen Eid, «Eid Al-Fltr» (Fest des Fastenbrechens – Anm. der Übersetzerin). Und er zählte auch zu den Tagen der heftigsten Bombenangriffe im Golfkrieg. Niemandem war nach Feiern zumute. Die meisten Familien blieben zu Hause, schließlich gab es nicht einmal genug Benzin, um von einem Ort zum anderen zu fahren. In den glücklicheren Vierteln gab es Bunker, in denen sich während der Bombenangriffe die gesamte Nachbarschaft einfand. In jenem Jahr kam man in den Bunkern auch zusammen, um mit Nachbarn und Freunden Eid Al-Fitr zu feiern.
Die Iraker suchen die Schutzräume weniger aus Sicherheitsgründen auf, sondern vielmehr zu gesellschaftlichen Zwecken. Während eines Bombenangriffs ist es da wirklich toll. Es gibt Strom und Wasser und ein Gefühl der Ruhe und Sicherheit, das ebenso von den soliden Wänden herfuhrt wie von der Versammlung fröhlicher Freunde und Verwandter. Mit vielen Menschen zusammen zu sein, lässt einen im Krieg manches leichter ertragen – es ist, als würden Mut und Durchhaltevermögen von Einem auf den Nächsten übertragen werden und mit der Zahl der versammelten Menschen exponentiell anwachsen.
Kinder und Frauen blieben im Bunker zurück

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So entschieden die Menschen in Amiriyah also, sich im Bunker zu einem festlichen Eid-Abendessen zu treffen. Nach dem Essen würden alle Männer und Jungen über 16 Jahren gehen und die Kinder und Frauen im Schutzraum unter sich lassen. Als sie sich verabschiedeten, hatten sie ja keine Ahnung, dass sie ihre Frau / Tochter / Verlobte / Schwester, ihren Sohn oder ihr Baby zum letzten Mal sehen würden…
Ich kann mir die Szene nach dem Fortgehen der Männer gegen Mitternacht gut vorstellen – wie die Frauen herumsitzen, Tee in dampfenden Istikans verteilen, Kilaycha und Schokolade herumreichen … die Kinder werden kreischend und lachend in dem Bunker umhergelaufen sein, so als gehöre dieser riesige unterirdische Spielplatz ihnen allein. Die Teenager werden beisammen gesessen und über Jungs oder Klamotten oder Musik oder das allerneueste Gerücht über Sara, Lina oder Fatima geredet haben. Die Gerüche werden sich vermischt haben – Tee, Gebäck, Reis … Wohlgerüche, die sie vielleicht einen Moment lang glauben ließen, sie wären eigentlich zu Hause.
Dann werden die Sirenen losgegangen sein – die Frauen und Kinder werden im Essen oder Schimpfen innegehalten und im Stillen ein kurzes Gebet für ihre Liebsten oben über der Erde gesprochen haben, um die sie in Sorge gewesen sein werden – jene Männer, die nicht im Bunker bleiben, sondern den Platz ihren Frauen und Kindern überlassen wollten.
Selbststeuernde Raketen durchbohrten den Schutzraum
Die Bomben fielen um vier Uhr morgens, schnell und heftig. Die erste der selbststeuernden Raketen durchbohrte die Lüftungsanlage, den Schutzraum – in den sie ein gähnendes Loch riss – und erreichte dann den untersten «Keller» des Bunkers, wo sich die Wassertanks und das Propangas zum Erwärmen von Wasser und Lebensmitteln befanden. Die zweite Rakete kam gleich hinterher, um zu zerstören, was die erste womöglich verfehlt hatte. Die Türen des modernen Bunkers schlossen sofort automatisch. Über 400 Frauen und Kinder waren eingesperrt.
Der Schutzraum wurde zum Inferno. Explosionen und Feuer fraßen sich von der untersten Ebene bis zu den Frauen und Kindern hinauf, und das kochende Wasser stieg hinterher. Wer nicht auf der Stelle verbrannt oder durch die Wucht der Explosion gestorben war, kam im siedend heißen Wasser oder in der Temperatur von fast 500 Grad Celsius um.
Als wir am nächsten Morgen erwachten, lief der Horror schon in den Nachrichten. Wir sahen zu, wie die irakischen Rettungskräfte in den Bunker liefen, um weinend und schreiend wieder herauszukommen. Sie schleiften Leichen hinter sich her, so verbrannt, dass sie nicht mehr menschlich schienen. Wir sahen, wie die Leute aus dem Viertel – Männer, Frauen, Kinder – am Zaun hingen, der um das Gelände verlief, und vor Entsetzen schrien. Die riefen einen Namen nach dem anderen … suchten in der grauenhaften Szenerie nach einem vertrauten Gesicht.
Die Leichen wurden nebeneinander abgelegt – alle hatten dieselbe Größe -, sie waren in der Hitze geschrumpft und bis zur Unkenntlichkeit verkohlt. Manche Opfer hatten sich wie ein Fötus zusammengekrümmt, so als hätten sie sich bei sich selbst verstecken wollen. Andere waren lang gestreckt, so als hätten sie die Hände nach einem lieben Menschen ausgestreckt oder versucht, sich in Sicherheit zu bringen. Die meisten wurden von ihren Angehörigen nicht wiedererkannt – nur über die Größe, über Kleidungsreste oder Schmuck ließ sich das Geschlecht und das ungefähre Alter des Opfers noch ermitteln.
In Amiriyah leben viele Lehrer, Hochschuldozenten, Ärzte und Angestellte – es ist eine Mittelschichtsgegend mit niedrigen Häusern, freundlichen Anwohnern und prosperierendem Handel. Alle lebten friedlich und glücklich miteinander. Nach dem 13. Februar wurde Amiriyah das Viertel, das man mied. In der Gegend stank es noch wochenlang nach verbranntem Fleisch, die zum Schneiden dicke Luft war grau vor Asche. Überall an den beigeverputzten Häusern hingen plötzlich schwarze Stoffbahnen mit den Namen der geliebten Verstorbenen. «Ali Jabbar betrauert den Verlust seiner Frau, Tochter und zweier Söhne …», «Muna Rahim betrauert den Verlust ihrer Mutter, Schwestern, Brüder und ihres Sohnes …»
Jede Familie hatte Opfer zu beklagen
Innerhalb weniger Tage waren alle Straßen von schwarzen Stoffzelten blockiert. Die gramgebeugten Familien hatten sie für Trauernde aus dem ganzen Land aufgeschlagen, die gekommen waren, um mit ihnen zu klagen und ihnen ein Stück weit über den Schock und das Grauen hinwegzuhelfen. Und es war grauenhaft. Jeder hatte einen geliebten Menschen verloren – oder kannte jemanden, der einen verloren hatte.
Wichtige Randnotiz: Falls irgendjemand von euch die Unverfrorenheit besitzt, mich in einer E-Mail darauf hinzuweisen, es habe sich hier um ein legitimes Ziel gehandelt, weil «amerikanische Stellen» das Objekt für «militärisch genutzt» hielten, möchte ich an das erste Zusatzprotokoll der Genfer Konvention von 1977 erinnern, Teil IV, Abschnitt 1, 3. Kapitel, 52: «… 3. Im Zweifelsfall wird vermutet, dass ein in der Regel für zivile Zwecke bestimmtes Objekt, wie beispielsweise eine Kultstätte, ein 1 Luis, eine sonstige Wohnstätte oder eine Schule, nicht dazu verwendet wird, wirksam zu militärischen Handlungen beizutragen.» (Als ob euch das von irgendetwas abhalten würde.)“ (Bagdhad Burning, S. 277ff).
Quellen:
Riverbend. Bagdad Burning. Rohwolt Taschenbuchverlag. Reinbek bei Hamburg 2007.
http://riverbendblog.blogspot.com/ (abgerufen am 17.1.2018)
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