Gescheiterte Staaten
Am Beispiel: Der gescheiterte Staat Somalia
Dieter Senghaas beschreibt in seinem Modell des zivilisatorischen Hexagons sechs Kriterien, welche in einem friedlichen und stabilen Staat mehr oder minder vorhanden sein müssen.
1. Gewaltmonopol
Gewalt darf – außer in Fällen von Notwehr und Nothilfe – ausschließlich von den dafür zuständigen staatlichen Organen ausgeübt werden.
Die somalische Bevölkerung ist der Machtgier der Warlords, Kriminellen und Milizen ausgeliefert, da sie nicht der Autorität einer Regierung unterliegen. Die Milizen kämpfen gegeneinander und gegen die Bevölkerung. Zwar gelang es 2011 somalischen Regierungstruppen mit Soldaten der Afrikanischen Union die Extremisten aus der Hauptstadt Mogadischu zu vertreiben, jedoch beherrscht die Miliz Al-Shabaab noch Teile Mittel- und Südsomalias und verübt weiterhin Anschläge.
2. Rechtsstaatlichkeit
Jede/r BürgerIn hat das Recht, die Institutionen des Rechtsstaates für die legitime Durchsetzung eigener Interessen und die Lösung von Konflikten zu nutzen.
Warlords, die in der „neuen“ Regierung in den Ministerrang befördert wurden, hielten ihre eigenen Beschlüsse nicht ein: Sie haben die Waffen und die Kontrolle über Flughäfen und Seehäfen, durch die sie ihre Armeen bisher finanzierten, nicht der Regierung übergeben. Jegliche internationalen Versuche zur Besserung der Situation schlugen fehl. „Es gilt das Gesetz des Dschungels“ und die für uns im humanitären Völkerrecht verankerten Werte haben eine kurze Lebensdauer.
3. Interdependenzen und Affektkontrolle
Alle Mitglieder einer Gemeinschaft stehen in gegenseitiger Abhängigkeit zueinander. Nachhaltiger Friede ist nur möglich durch die Anerkennung von Unterschieden bei gleichzeitigem Gewaltverzicht.
Der Waffenbesitz in Somalia ist eine Art Lebensversicherung. Durch das Tragen einer Waffe ist die Gefahr von Unterdrückung oder Bedrohung nicht so sehr gegeben, wodurch auch immer mehr Kinder Waffen besitzen. Bewaffnete terrorisieren Unbewaffnete.
4. Demokratische Beteiligung
Demokratisierung bedeutet die gleichberechtigte Einbeziehung möglichst aller Beteiligten in Prozesse der Entscheidungsfindung.
Seit 1991 gibt es keinen Staat mit funktionierender Regierung. Somalia teilte sich in 18 Gebiete auf, verwaltet von unterschiedlichen Clans. Darunter auch das Somaliland im Norden, das sich selbst zum unabhängigen Staat erklärte.
5. Soziale Gerechtigkeit
Die Gesellschaft schützt ihre Mitglieder ausnahmslos vor Armut und Diskriminierung jeglicher Art.
Dürrekatastrophen und Überschwemmungen führen 1997 zu einer erneuten Hungersnot. Seuchen brachen aus und es entstanden Flüchtlingsbewegungen.
6. Konfliktkultur
Die Mitglieder einer Gesellschaft sind fähig, Konflikte produktiv und kompromissorientiert auszutragen.
Im Jahr 2000 trafen sich die VertreterInnen der größten Parteien auf einer Versöhnungskonferenz, bei der die Wahl einer Nationalversammlung und die Bildung eines Übergangsparlaments beschlossen wurden. 2002 wurde ein Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet, welches bisher nicht wirksam wurde. 2007 kam es aber zwischen Anhängern der Regierung, Islamistischen- und Hawiye-KämpferInnen zu erneuten Auseinandersetzungen in Mogadischu, durch die abermals Hunderttausende SomalierInnen vertrieben wurden. (red)
Links und Lesetipps
Dieter Senghaas: Wohin driftet die Welt? Über die Zukunft friedlicher Koexistenz. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 1994.
Dieter Senghaas (Hg.): Frieden machen. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 1997. (ISBN 3-518-12000-X)
Welthaus Bielefeld. Misereor. DED, Entwicklungshindernis Gewalt. Ein Arbeitsbuch über neue Kriege und erzwungene Armut. Peter Hammer Verlag GmbH, Wuppertal 2006.
Wochenzeitung „Die Zeit“, aktuelle Onlineberichte über Somalia – http://www.zeit.de/themen
Quellen
Thania Paffenholz (2004): Gewaltsame Konflikte in Somalia. In: Wissenschaft und Frieden, Nr. 22, S. 34–45.
Bettina Rühl (2006): Es gilt das Gesetz des Dschungels. Somalia als Beispiel für Staatszerfall in Afrika. In: Entwicklungshindernis Gewalt. Ein Arbeitsbuch über neue Kriege und erzwungene Armut – für Oberstufe und Erwachsenenbildung. Wuppertal, S. 62–65.
Kennzeichen der neuen Kriege. In: Entwicklungshindernis Gewalt. Ein Arbeitsbuch über neue Kriege und erzwungene Armut – für Oberstufe und Erwachsenenbildung. Wuppertal, 2006, S. 58–59.
Zivilisatorisches Hexagon nach Senghaas
Dieter Senghaas: Frieden als Zivilisierungsprozeß. In: Ders. (Hg.): Den Frieden denken. Frankfurt am Main, 1995, S. 196–223, Auszüge.
Joachim Becker / Gerald Hödl / Peter Steyrer (Hrsg.) Krieg an den Rändern. Von Sarajewo bis Kuito. Promedia Verlag, Wien 2005.