Kriegs-Trauma bei Kindern und Jugendlichen
Kriegserlebnisse können bei Kindern und Jugendlichen schwerste Traumatisierung zur Folge haben.
Erfahrungen wie der Tod der Eltern oder naher Verwandter, Bombardierung, Raketenbeschuss, Granaten, Explosionen, Flucht, Verlust von Haus und Heimat, langfristige Trennung von den Eltern, Kidnapping, Zeuge oder Zeugin von Ermordung, Erschießung, Folter gehören für Kinder in Kriegsgebieten zum Alltag.
Oft werden sie selbst Opfer von Gewalt, Vergewaltigung und Folter, erleiden körperliche Verletzungen, werden zum Morden gezwungen oder leiden an Armut, Hunger, Deprivation und Unterernährung.
Traumatische Ereignisse treffen ein Kind sowohl auf mentaler als auch auf physischer Ebene völlig unvorbereitet. Solche Ereignisse sind außergewöhnlich, unvorhersehbar und liegen außerhalb der normalen zu erwartenden Lebenserfahrung eines jungen Menschen.
Bei der Beschreibung der Folgen von Trauma sollten immer die subjektiven Faktoren eines Kindes und Jugendlichen und die objektiven Faktoren der traumatischen Situation berücksichtigt werden.
Besonders beachtet sollte werden, dass die individuellen Faktoren in der Kindheit und Adoleszenz einer ständigen Veränderung und Entwicklung unterworfen sind.
Der altersgemäße Stand der kindlichen Entwicklung sowie spezifische Merkmale einer traumatischen Situation können sowohl zu Schutz- als auch zu Risikofaktoren werden.
Alle beschriebenen Erklärungsmodelle von Trauma, Traumatisierung und deren mögliche Auswirkungen treffen sowohl für Erwachsene als auch für Kinder und Jugendliche zu.
Kinder und Jugendliche entwickeln gemäß ihres Entwicklungsstandes Bewältigungsstrategien. Die Annahme, dass Zeit alleine Wunden heilt, gilt hier nicht, im Gegenteil: Hier sei besonders daraufhin gewiesen, dass „Zeit allein keine Wunden heilt.“
Häufige Reaktionen von Kindern und Jugendlichen können Gefühle der Un-Realität sein, Angst, Hilflosigkeit und Trauer. Oft kommt es auch zu unangemessenen Trauerreaktionen, wenn Kinder z.B. lächelnd über schlimmste Erlebnisse berichten. Wut, Aggression, Irritation, Schuldgefühle, Schlafstörungen, Spannungszustände, Hyperaktivität, Konzentrationsprobleme, soziale Unangepasstheit, Regression, ‚Wegdriften‘ oder bizarres Verhalten sind als weitere mögliche Reaktionen zu nennen.
Zu beobachten ist auch, dass viele Buben verstärkt mit ‚Acting-out‘- und viele Mädchen mit ‚Acting-in‘-Verhaltensweisen reagieren.
Es kann auch sein, dass Kinder und Jugendliche nichts mehr sprechen oder sich weigern über das Trauma zu sprechen. Bei Jugendlichen besteht häufig eine stark ausgeprägte Zukunftsorientierung, allerdings oft mit dem Gefühl einer starken Einschränkung der Zukunftsperspektiven. In den Entwicklungsphasen der Pubertät und Adoleszenz können durch Traumatisierungen besondere Probleme entstehen, weil sich Jugendliche gerade in dieser Zeit mit Fragen der Identität und Geschlechterrolle auseinandersetzen, somit fällt das ‚normale‘ kritische Hinterfragen der Eltern mit der durch das Trauma bewirkten Hilflosigkeit zusammen. (vgl.: Lanfranchi in Systeme, 2006/1, S. 95)
Traumatisierte Eltern sind sehr oft physisch an-, aber psychisch abwesend, da sie das Gefühlschaos aus Trauer, Wut, Angst und Resignation gefangen hält. (vgl.: Lanfranchi in Systeme, 2006/1, S. 95)
„Bruno Bettelheim sagte, dass es schwer ist, sich gegen Eltern aufzulehnen, deren Welt in die Brüche gegangen ist. Kann sich die pubertäre Oppositionshaltung nicht gegen die Eltern richten, weil sie entweder physisch oder psychisch unerreichbar sind, richtet sie sich gegen andere Instanzen, die das väterliche Prinzip repräsentieren, etwa gegen die Schule oder andere Instanzen gesellschaftlichen Umfelds. Das ist einer der Mechanismen, welche die Gewalt bei neu immigrierten Jugendlichen erklären.“ (Lanfranchi in Systeme, 2006/1, S. 95)
Symptome
Die häufigsten Symptome nach einem Trauma sind Schlaf- und Angststörungen. Untersuchungen belegen, dass Kinder und Jugendliche, die verschiedenen Arten von Traumatisierung ausgesetzt waren, ähnliche Symptome im Sinne einer PTBS entwickeln können. Traumatisierte Kinder und Jugendliche werden in der Praxis als solche häufig nicht erkannt und es wird daher leider oft eine Fehldiagnose gestellt, wie z.B. die einer Aufmerksamkeits- bzw. Aufmerksamkeitsdefizitstörung oder die einer Lernbehinderung, die dazu führen kann, dass für diese Kinder in vielen Fällen ein ‚Sonderpädagogischer Förderbedarf‘ mit falscher Diagnose beantragt wird.
Bei einer nicht erkannten Traumatisierung kann eine weitere ‚Störung‘ in den Vordergrund treten, die dann oft erst der Auslöser für eine medizinische oder therapeutische Intervention sein kann.
Lanfranchi beschreibt in diesem Zusammenhang auch zwei Arten von Fehldiagnosen:
· „a) Manchmal haben Fachpersonen auf Grund von Phänomenen wie Beziehungs- und Lernproblemen den Verdacht, es handle sich um eine Kriegstraumatisierung, ist es jedoch nicht.
· b) Manchmal glauben sie, das Kind sei schlicht faul oder introvertiert, oder wegen problematischer Erziehungshaltungen der Eltern in seinem Verhalten beeinträchtigt. Sie denken nicht an die Möglichkeit, dass das Kind infolge von Krieg, Verfolgung oder Flucht psychische Probleme hat.“ (Lanfranchi in Systeme, 2006/1, S. 96 )
Mit diesen Schwierigkeiten sind Expertinnen und Experten im schulischen Kontext immer wieder konfrontiert. Dazu kommt, dass aufgrund des Migrationshintergrundes der Betroffenen die Verständigung in einer gemeinsamen Sprache oft nur schwer möglich ist und außerdem geeignete Dolmetscherinnen und Dolmetscher fehlen.
Kinder können sich oft den ‚unmöglichsten‘ Situationen anpassen, woraus nicht geschlossen werden sollte, dass sie das Erlebte bereits verarbeitet und integriert haben. Andererseits ist es sehr wichtig zu betonen, dass nicht jedes Kind Störungen und Pathologien entwickeln muss, wie es im Konzept der Resilienz beschrieben ist. Lanfranchi definiert Resilienz als eine Art „Biegsamkeit“ bzw. Widerstandsfähigkeit, die ein Individuum im Laufe seines Lebens unter bestimmten Umständen aufbauen und weiterentwickeln kann. (vgl.: Lanfranchi in Systeme, 2006/1, S. 88)
Trauma und Trauer
Unter dem Begriff Trauer können unterschiedliche Gefühle wie Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, Wut, Schuldgefühle, Angst, Einsamkeit und Sehnsucht zusammengefasst werden. Je nach kultureller Tradition gibt es unterschiedliche Umgangsformen und Tabus im Umgang mit Trauer.
Lueger-Schuster und Pal-Handl greifen die ursprüngliche Bedeutung des Wortes auf: „Das Wort ,trauern‘ kommt vom altenglischen Begriff ,drusian‘ – sinken; matt, kraftlos werden. Ein Mensch, der trauert, wird niedergedrückt von einer schweren Last – dem Traurigsein. Die Fähigkeit, diese Last zu tragen, sie nach und nach leichter zu machen und sie schließlich ganz abzulegen, ist der Kern des natürlichen, gesunden Trauerns.“ (Lueger-Schuster/Pal-Handl, 2004, S. 56)
In der Arbeit mit traumatisierten Kindern sowie auch traumatisierten Erwachsenen ist es notwendig, den Unterschied zwischen Trauma und Trauer im Bewusstsein zu halten. Auf den ersten Blick scheinen die Reaktionsformen der Betroffenen sehr ähnlich und oft zeigt sich eine Vermischung der Gefühle.
Lueger-Schuster und Pal-Handl weisen darauf hin, dass die PTBS den Trauerprozess erschwerend beeinflussen bzw. auch den Trauerprozess behindern kann. Um unterstützend wirken zu können, ist es wichtig den Schmerz und das Traurigsein – als normale Reaktion auf Verlust – zuzulassen.
Der Trauerprozess besteht aus unterschiedlichen Phasen. Im Vergleich zu der Trauerreaktion bei Erwachsenen, kann der Trauerprozess bei Kindern schneller abgeschlossen sein und es kann zwischen den unterschiedlichen Trauerphasen mehr Raum für Erholung notwendig sein. Auch wenn immer wieder versucht wird, die Trauer in Phasen einzuteilen, trauert jeder Mensch auf individuelle und einzigartige Weise.
Die Verarbeitung eines Verlustes ist für Jugendliche besonders schwierig, da das alte Gefüge der Kindheit nicht mehr hält und ein neues noch keine verlässlichen Formen angenommen hat.
Im Lebensabschnitt der Pubertät wird Tod generell als sinnlos und ungerecht erlebt und religiöse und kulturelle Rituale sind in diesem Alter oft nicht hilfreich. Sinnkrisen können auftreten, die Unterstützung von Gleichaltrigen wird oft als hilfreicher erlebt als Tröstungsversuche von vertrauten Erwachsenen.
Die Rolle von Familie und Umwelt
Die psychischen Reaktionen von Kindern und Jugendlichen sind im Kontext des familiären Bindungsgefüges zu sehen, denn Kinder übernehmen die Interpretationen des Traumas von ihren Eltern. Die Eltern stellen eine Art Filter dar, durch den die Kinder die Bedeutung der Bedrohung wahrnehmen und sind somit für sie Modelle für den Umgang mit Trauma. So gesehen nehmen die Eltern Einfluss auf die Bewältigungsstrategien, die die Symptome der Kinder lindern oder verstärken können. Manchmal gibt es in Familien eine Art ‚Schweigeabkommen‘, an dass sich alle Familienmitglieder unbewusst halten, welches besagt, dass erlebte Erniedrigungen nicht nach außen dringen dürfen, sondern verdrängt und abgespalten werden müssen. Diese verdrängten Erlebnisse werden oft von den Kindern übernommen und körperlich ausagiert.
Oft schonen Eltern ihre Kinder, indem das Ereignis nicht mehr angesprochen wird um den Kindern das Vergessen zu erleichtern, das Gegenteil wird aber erreicht. Umgekehrt versuchen Kinder auch ihre Eltern zu schützen, indem sie das eigene Leiden nicht aussprechen. Kinder bekommen mit, wie schwer es den Eltern fällt über das traumatische Ereignis zu sprechen – vor allem, wenn Eltern und Kinder gemeinsam zu Opfern des Traumas oder Kinder Zeugen von Misshandlung der Eltern wurden. Der Teufelskreis zwischen Schützen und Schonen verstärkt die Symptomatik.
Viele Eltern entwickeln Schuldgefühle, weil sie ihr Kind nicht vor dem traumatischen Ereignis bewahren konnten und versuchen die eigene Betroffenheit nicht zu zeigen. Durch die enge Verbundenheit mit ihren Eltern erspüren Kinder und Jugendliche aber deren eigentliche Befindlichkeit.
Nach einem traumatisierenden Ereignis ist Stabilisierung besonders wichtig. Die Erregung, die jede traumatische Situation hervorruft, kann dadurch modifiziert und reguliert werden. Darüber reden fördert das Denken, Denken modifiziert Gefühle und Handlungsmöglichkeiten und die Bewältigungsstrategien werden dadurch vielfältiger.
Traumatisierte Eltern tun sich schwer, die Erregung ihrer Kinder zu regulieren. Dadurch können chronische Übererregung und traumaspezifische Symptome entstehen. Kinder und Jugendliche entwickeln möglicherweise Ängste, Wut und Sehnsucht nach kompetenten Eltern. Kinder und Jugendliche können innere Mechanismen entwickeln, u. a. die Strategie der Vermeidung, indem sie die eigenen Gefühle verdrängen, inneres Unbehagen und Wünsche nicht zur Kenntnis nehmen und eine positive Fassade vorspielen. Das kann dazu führen, dass Kinder und Jugendliche nach geraumer Zeit nicht mehr wissen, was für sie hilfreich sein könnte. Sehr oft wirken diese jungen Menschen selbstständig, selbstständiger als sie sind. Sie können emotional distanziert wirken, meiden Nähe und Freundschaft und sind oft sehr leistungsbereit. Häufig reagieren sie mit körperlichen Symptomen, als Ausdruck der traumabedingten Übererregung und Unruhe.
(vgl.: Lueger-Schuster in Friedmann/Hofmann/Lueger-Schuster/Steinbauer/Vyssoki (Hrsg.), 2004, S. 55f)
Gespräche in der Krise nach dem Trauma
Krisenintervention dient der Stabilisierung und hat ‚Normalisierungsfunktion‘. Die Intervention führt zur Linderung des Spannungszustandes im Hier und Jetzt und zur Prävention späterer chronischer Probleme.
Betroffene sind sowohl dem Chaos der Situation als auch dem Chaos des eigenen Erlebens ausgeliefert. Der Fokus liegt auf dem Verstehen, was in der Vergangenheit passiert ist, wie die aktuelle Situation ist und wie es in Zukunft weiter gehen kann.
Es ist wichtig das Hier und Jetzt zu betonen. Traumatisierte Menschen müssen spüren können, dass sie in Sicherheit sind und Ihnen keine Gefahr droht. Deshalb sind Schonung und Zuwendung an einem sozial sicheren Ort besonders wichtig.
Bewältigungsstrategien sollten mobilisiert und soziale Unterstützung organisiert werden. Das Herausarbeiten von Struktur und Kontrolle ist notwendig ebenso wie die baldige Rückkehr in einen strukturierten Alltag. Weiters helfen das systematische Durcharbeiten des Ereignisses sowie das Geben von Informationen und Erklärungen das Erlebte einzuordnen.
Es gehört zu den schwierigsten psychischen Prozessen eines Menschen, eine schreckliche Realität anzuerkennen. Helfende können das Leid nicht lindern, die Betroffenen müssen äußerst schmerzhafte Erfahrungen überwinden. „Die Aufgabe des Helfers hier ist, den Prozess zu begleiten, ein Zeuge zu sein in dieser schweren Stunde, also den Schmerz zuzulassen und nicht zu verleugnen.“ (Friedmann/Hofmann/Lueger-Schuster/Steinbauer/Vyssoki: Psychotrauma, 2004, S. 187)
In Gesprächen über das Trauma ist es wichtig zu signalisieren, dass man bereit ist, die belastenden Geschichten anzuhören, den Schmerz wahrzunehmen, anzuerkennen und auszuhalten. Diese Gespräche sollten nicht forcierend wirken, sondern es sollte ihnen ‚Raum‘ gegeben werden, wenn Betroffene von ihren Erlebnissen berichten möchten. Gespräche können helfen, Klarheit über das Erlebte zu gewinnen und Schuldgefühle abzubauen oder zu vermeiden. So gesehen können diese Gespräche emotional sehr entlastend sein.
Schule als unterstützendes Umfeld
Nachdem es für kriegstraumatisierte Kinder in manchen Bundesländern Österreichs keine ausreichende psychotherapeutische Versorgung gibt, kommt den pädagogischen Einrichtungen eine besondere Bedeutung zu.
Lanfranchi meint: „Neben therapeutischer Hilfe brauchen kriegstraumatisierte Kinder in der ‚Fremde‘ ein sicheres und emotional unterstützendes Umfeld. Dazu gehört die pädagogische Professionalität von interkulturell kompetenten Lehrpersonen. Dazu gehört auch die Beratung der verunsicherten Eltern, die oft selbst durch Flucht und eigene Traumatisierungen beeinträchtigt sind.“ (Lanfranchi in Systeme, S. 82)
Belastungssymptome können sich in der Schule als Lern- oder Verhaltensprobleme, Depressivität oder Aggressivität ausdrücken. Die Eltern der betroffenen Kinder scheinen manchmal nicht kooperativ zu sein, wenn Pädagogen und Pädagoginnen sich an sie wenden. Es kann sein, dass sie die von den Lehrpersonen aufgezeigten Probleme verleugnen und Hilfe ablehnen. Oft sind die Eltern dieser Kinder selbst so traumatisiert, dass sie durch die in der Schule auftretenden Probleme oftmals Ängste entwickeln, erneut vertrieben zu werden. Durch manche Verhaltensweisen kriegstraumatisierter Kinder können im Klassenverband derartige Spannungen auftreten, dass die Belastung der Lehrpersonen enorm sein kann. Doch die mitunter nachvollziehbaren Überlegungen diese Kinder zu separieren, würde nicht zu einer Lösung, sondern zu einer Verschärfung der Problematik führen. Viele der betroffenen Kinder wie auch deren Eltern würden dies erneut als Ausgrenzung erleben, was sie in tiefe Gefühle des Versagens und der Verzweiflung stürzen könnten. Diese Kinder benötigen vor allem einen klaren Rahmen in der Regelklasse, um dem Strukturverlust durch die erlebte Flucht, Heimatlosigkeit und Verunsicherung entgegen zu steuern. (vgl.: Lanfranchi in Systeme, S. 91f)
Die Schule als sicherer Ort gibt Kontinuität und sollte – basierend auf Empathie, Wertschätzung und Akzeptanz – klare Strukturen bieten, die den Kindern ein Gefühl der Zugehörigkeit vermitteln. Bemitleidendes und stigmatisierendes Verhalten der Pädagoginnen und Pädagogen wirkt kontraproduktiv. Hilfreich erweist es sich, die betroffenen Schüler und Schülerinnen wissen zu lassen, dass man Verständnis für ihre spezielle Situation hat, dass, wenn diese es brauchen, die Pädagogin bzw. der Pädagoge zu einem Gespräch mit ihnen bereit ist, dass man aber vor allem von ihnen erwartet, dass sie in der Schule lernen. „Fachpersonen in Pädagogik und Beratung können und müssen fast alles verstehen. Das heißt jedoch nicht, dass sie auch alles akzeptieren sollen, zum Beispiel Gewaltreaktionen oder Regression. ,Feeling bad is no reason for bad behavior‘, sagte Jay Haley in seinem Standardwerk ,Leaving Home‘.“ (Lanfranchi in Systeme, S. 95)
In der Schulklasse kann Solidarität erfahren werden, in regelmäßig stattfindenden Gesprächsrunden können Schüler und Schülerinnen ihre Gefühle mitteilen und ihre Zukunftsängste formulieren. Durch Identität stärkende Projekte haben Jugendliche die Möglichkeit aus der Position der Hilflosigkeit herauszuschlüpfen und ihr Selbstvertrauen trotz erlebter Traumatisierung zu stärken und umso besser mit den Traumafolgen fertig zu werden. „Wenn Kinder sich nicht zwischen den zwei Extremen der Anpassung und Marginalisierung entscheiden müssen, ihre eigene ,Zwischenwelt‘ aufbauen können, haben sie die Möglichkeit, trotz erlittener Traumatisierungen ihr Selbstwertgefühl zu stärken.“ (Lanfranchi in Systeme, S. 95) Wichtig ist, die Kinder im Gespräch immer wieder darauf hinzuweisen, dass ihre Reaktionen normal sind bezogen auf die abnormalen Zustände, die sie erlebt haben, doch der Ort Schule Regeln vorgibt, die eingehalten werden müssen. Dem kreativen und sportlichen Bereich kann als Verarbeitungshilfe eine besondere Rolle zukommen, da hier auch ohne Sprache die eigene Befindlichkeit symbolisch dargestellt und zum Ausdruck gebracht werden kann. Ebenso können traumatische Erlebnisse durch das Fördern von kreativen Ausdrucksmöglichkeiten nach ‚außen‘ gebracht werden.
Lanfranchi weist aber auch sehr deutlich auf die Grenzen der Institution Schule hin: „Wenn also Kinder – trotz ,guter Pädagogik‘ und Familienberatung – ständig Beruhigung und Zuwendung brauchen, weil sie extrem verletzlich sind und massive Verhaltungsstörungen zeigen, kann es sein, dass nebst der sicheren und affektiv stützenden Schulumgebung therapeutische Hilfe nötig wird. Damit will ich sagen, dass schulische und sozialpädagogische Institutionen nicht alles können und in bestimmten Fällen durch psychotherapeutische Einrichtungen entlastet werden müssen.“ (Lanfranchi in Systeme, S. 93) (is/cw)
Lesetipps
Winklhofer, Claudia. Flucht und Trauma im pädagogischen Kontext: Eine Broschüre zur Unterstützung von Pädagoginnen und Pädagogen im Umgang mit Kindern und Jugendlichen mit Fluchterfahrung. (Pdf) Pädagogische Hochschule
Salzburg Stefan Zweig.
Friedmann/Hofmann/Lueger-Schuster/Steinbauer/Vyssoki (Hg.): Psychotrauma – die posttraumatische Belastungsstörung. Wien: Springer Verlag, 2004.
Lackner: Wie Pippa wieder lachen lernte. Fachliche Hilfe für traumatisierte Kinder. Wien/New York: Springer Verlag, 2004.
Lueger-Schuster/Pal-Handl: Wie Pippa wieder lachen lernte. Elternratgeber für traumatisierte Kinder. Wien/New York: Springer Verlag, 2004.
Pal-Handl/Lackner/Lueger-Schuster: Wie Pippa wieder lachen lernte. Ein Bilderbuch für Kinder. Wien/New York: Springer Verlag, 2004.
Lanfranchi in ÖAS, SG (Hg.): Systeme – Interdisziplinäre Zeitschrift für system-theoretisch orientierte Forschung und Praxis in den Humanwissenschaften, Jg. 20, 1/2006.