Armut

Unter den Kriegs- und KonfliktforscherInnen, die sich mit der Frage „Schafft Armut Kriege?“ befasst haben, gibt es keine einhellige Antwort.

Empirisch lässt sich durchaus ein enger Zusammenhang zwischen Armut und Krieg feststellen. Nach einer im Jahre 2.002 veröffentlichten Untersuchung der britischen Entwicklungsökonomin Frances Stewart waren acht der zehn Staaten mit dem niedrigsten Human Development Index (HDI) und ebenfalls acht der zehn Länder mit dem geringsten Pro-Kopf-Einkommen innerhalb der letzten zwei Jahrzehnte des 20 Jahrhunderts von Bürgerkriegen größeren Ausmaßes betroffen. Im Jahr 2002 fanden 18 der insgesamt 29 von der AKUF identifizierten Kriege sowie 17 der insgesamt 18 bewaffneten Konflikte in Ländern statt, welche nach der HDI-Rangliste des UNEP der unteren Einkommensgruppe zugehören, das heißt, ein jährliches Pro-Kopf-Einkommen von weniger als 755 US-Dollar jährlich aufweisen. Diese 17 Länder gehören zu den 48 laut UNO-Definition „am wenigsten entwickelten Staaten“ (Least Developed Countries, LDCs). Die übrigen 31 Staaten dieser Gruppe blieben von Krieg und bewaffneten Konflikten verschont. Das zeigt: es gibt keinen Automatismus, wonach Armut immer zu Kriegen führt. In der wissenschaftlichen Diskussion zu den Ursachen von Kriegen und bewaffneten Konflikten gilt Armut allein nicht als ursächlicher Faktor, sondern es wird davon ausgegangen, dass sich destabilisierende Faktoren von Armut erst in der Kombination mit anderen Faktoren entfalten. Zum Beispiel steigt das Risiko bewaffneter Konflikte signifikant, wenn ein Land stark vom Rohstoffexport abhängig und damit den entsprechenden Preisschwankungen auf dem Weltmarkt ausgesetzt ist.

Armut führt zu Bürgerkriegen

Allerdings zeigen wissenschaftliche Untersuchungen der letzten Jahre auch eindeutig: Je ärmer ein Land, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass in diesem Land ein Bürgerkrieg ausbricht. Die Weltbank hat in einer im Jahr 2003 veröffentlichten Studie
(„Breaking the poverty trap – civil wars and development policy“) 161 Länder und 78 Bürgerkriege untersucht. Nach dieser Studie lässt ein Einbruch des Wirtschaftswachstums eines Landes um fünf Prozent die Wahrscheinlichkeit eines bewaffneten Konfliktes um 50 Prozent steigen. Verdoppelt sich hingegen das Bruttosozialprodukt von 250 auf 500US-Dollar pro Einwohner, halbiert sich die Wahrscheinlichkeit, dass es in den nächsten fünf Jahren zum Bürgerkrieg kommt.

Aus der Weltbankstudie wird zudem deutlich, dass Demokratien keineswegs automatisch – nur weil sie Demokratien sind – besser vor bewaffneten Konflikten geschützt sind als autokratisch oder diktatorisch regierte Staaten. Entscheidend ist die sozio-ökonomische Lage, in der sich ein Land befindet. Die Weltbank-Studie kam sogar zu dem Ergebnis, dass „bei einem niedrigen Pro-Kopf-Einkommen der Bevölkerung politische Institutionen in Demokratien weniger stabil sind, als in Autokratien.“ Unabhängig von der Regierungsform sei das Risiko eines Bürgerkrieges in ökonomisch marginalisierten Staaten zehn Mal höher als in wirtschaftlich „erfolgreichen Entwicklungsländern“ wie zum Beispiel den asiatischen Tigerstaaten.

Weltbank trägt Mitverantwortung

Die Weltbank hat in ihrer Studie Ursachen von bewaffneten Konflikten beschrieben, für die – oder zumindest für deren erhebliche Verschärfung – sie selber eine erhebliche Mitverantwortung trägt. Zum Beispiel durch die ökonomische Restrukturierung durch sogenannte „Strukturanpassungsprogramme“ (SAP), die Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IFW) im Verein mit den Regierungen der westlichen Industriestaaten zahlreichen Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts aufgenötigt haben.

Quellen:

Zumach Andreas: Armut schafft Kriege — nicht immer, aber fast überall. Zum Zusammenhang zwischen Mangel und (bewaffneten) Konflikten, in: Österreichisches Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung (Hrsg.), Projektleitung: Roithner Thomas: Globale Armutsbekämpfung — ein Trojanisches Pferd? Auswege aus der Armutsspirale oder westliche Kriegsstrategien?, Dialog 56 — Beiträge zur Friedensforschung, ISBN 9783825817626, Lit-Verlag, Münster — Hamburg — London — Berlin — Wien, Dezember 2008.