My Lai

In My Lai fielen am 16. März 1968 504 VietnamesInnen einem Massaker von US-Soldaten zum Opfer. Ganze drei davon erfüllten als junge Männer das Kriterium, möglicherweise gegnerische Kämpfer zu sein, ein Einziger war nachweislich bewaffnet. Er wurde zu Beginn der Aktion außerhalb von My Lai auf der Flucht von einem Hubschrauber aus erschossen.

Von all diesen Menschen ging keinerlei Gefahr aus. Es gab scheinbar keinen Grund dafür, sie zu ermorden. Die Tötungsbereitschaft der Soldaten ging so weit, dass nicht nur Menschen ermordet, sondern auch noch ihr Vieh abgeschlachtet und ihre Häuser niedergebrannt wurden – so, als sollte buchstäblich nichts, keine Spuren von den Opfern und ihrem Leben übrig bleiben.Die Tötungsaktion spielte sich innerhalb weniger Stunden ab; sie bestand aus bestialischen Einzelaktionen und systematischen Erschießungen, bei denen Menschen gesammelt und mit Maschinengewehrfeuer getötet wurden.

Entfesselte Gewalt

Einer der Täter beschrieb den Massenmord später in folgender Weise: „Wir haben fast das ganze Dorf ausgelöscht. Ich kann die Menge der Menschen, die wir töteten, nicht vergessen, genauso wenig wie die Art, wie wir sie töteten. Wir töteten sie auf jede Weise. Haben sie eine Ahnung, wie es ist, 500 Menschen in vier oder fünf Stunden umzubringen?… Du stellst fünfzig Leute in eine Reihe, Frauen, alte Männer, Kinder und mähst sie einfach nieder. Wir haben sie einfach aufgestellt, haben die M16 auf automatisches Feuer gestellt, und sie einfach umgemäht.“ #

Die in der Regel unerfahrenen amerikanischen Soldaten operierten in einer Situation des Dschungelkrieges gegen einen Feind, der die Techniken des Partisanenkrieges beherrschte – worauf die Soldaten nicht vorbereitet waren. Die Bedrohung durch einen oft unsichtbaren Feind wird mithin als umfassend empfunden. Eine solche diffuse und verallgemeinerte Bedrohung löst ein starkes Gefühl von Kontrollverlust und Orientierungslosigkeit aus. Der Dschungel wurde von den GIs als ein Raum extremer Bedrohung erlebt, undurchschaubar, undurchdringlich, unberechenbar.

Gewalt als Orientierungmittel

Es existierte ein tief wurzelndes Gefühl, nicht zu verstehen, was gespielt wurde, am falschen Ort zu sein, sein Leben für etwas auf’s Spiel zu setzen, mit dem man sich nicht identifizieren konnte. In einer solchen Situation ist die Verbesserung von Orientierung und die Verringerung von Kontrollverlust das Dringlichste. Das einzige probate Mittel, das den Männern dafür zur Verfügung stand, war Gewalt. Verschärfend kam noch der Tod eines beliebten Kompanie-Angehörigen dazu, der kurz vorher einer Sprengfalle zum Opfer fiel, sodass für viele die Lust auf Rache eine Rolle gespielt haben dürfte.

Zwischen Irrationalität und Systematik

Die Soldaten, die das Massaker verübt hatten, stellten keine besondere Gruppe dar, sie waren weder ihrem Alter, ihrer Herkunft oder ihrer Ausbildung nach anders als die anderen in Vietnam eingesetzten Soldaten. Die Gründe für das unmenschliche Verhalten der GIs sind vielfältig. Auf der einen Seite setzt die Dynamik einer Massakers unkontrollierte Mechanismen, irrationale, emotional rauschhafte und entfesselte Handlungen frei. Auf der anderen Seite haben Massaker häufig einen viel systematischeren und geplanten Charakter als das auf den ersten Blick erscheint. Gerade der rassistische Hintergrund – die Opfer wurden nicht mehr als Menschen gesehen – zeugt von einer Situation, deren Ursache nicht in einer aktuellen Bedrohung, sondern in ein lang vorbereiteten Entmenschlichung der Tätergruppe zu suchen ist.# (red)

Quellen, Links und Lesetipps:

Harald Welzer, Täter. Wie aus ganz normalen Männern Massenmörder werden. S. Fischer-Verlag GmbH. Frankfurt am Main 2005

Bernd Greiner. Krieg ohne Fronten. Die USA im Vietnam. Hamburger Edition. Hamburg 2007

Bildquelle:

Flickr.com (abgerufen am 15.5.2018)