Ästhetisierung

Eine Art der psychologischen Kriegsführung, an die man vielleicht nicht zuerst denkt, die aber großen Einfluss hat, ist die Ästhetisierung. Ästhetisierung bedeutet, dass etwas, das ursprünglich nicht aus dem Kunstbereich kommt, aus dem Blickwinkel der Schönheit gestaltet oder betrachtet wird. Die Ästhetik (griechisch aísthesis = Wahrnehmung) ist eine Philosophie der Wahrnehmung und Theorie des Schönen. Wenn z.B. Kriegsfotografien als Kunstwerke wahrgenommen oder gehandelt werden, können die FotografInnen mit dem Vorwurf von Ästhetisierung von Schrecken und Leid konfrontiert werden.

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Ästhetisierung als psychologische Kriegsführung umfasst unter anderem die ästhetische Gestaltung von Waffen und anderen militärischen Geräten, den Körperkult des Militärs, die perfektionistische SoldatInnenbekleidung, machtvoll wirkende Architektur von militärischen und politischen Gebäuden und die Steigerung der Kriegsfaszination durch ästhetische Bilder und Filme.

Am Beispiel: Leni Riefenstahl

Leni Riefenstahl (geb. 1902 – gest. 2003) ist eine der umstrittensten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Sie war Freundin von Hitler, hat Nazipropagandafilme gedreht und war zugleich eine der innovativsten und erfolgreichsten Filmemacherinnen. Mit ihren idealisierten filmischen Darstellungen von perfekten Körpern und großen Menschenmassen trug sie maßgeblich zur Ästhetisierung des Nationalsozialismus bei. Sie drehte unter anderem die Reichsparteitagtrilogie: „Sieg des Glaubens“, „Triumph des Willens“, „Tag der Freiheit! – Unsere Wehrmacht“, Filme über die Olympischen Spiele von 1936 und den Film „Tiefland“. In ihren Memoiren betont sie, dass sie keine politischen, sondern nur künstlerische Absichten hatte. An diesem Punkt setzen die kritischen Auseinandersetzungen über ihre Person und ihr Werk bis heute an. Zweifelsfrei hat sie ihr künstlerisches Talent für die politischen Zwecke von Hitler und Co. eingesetzt und in großem Stile und mit immenser Wirkung Werbung für diese betrieben.

Kennzeichen ihrer Ästhetisierung des Nationalsozialismus war z.B. das Filmen von Hitler aus dem Blickwinkel von unten. Dadurch wirkte er größer und mächtiger (auch heute werden Politiker häufig leicht von unten gefilmt). Mit neuen technischen Erfindungen wie der Krankamera oder der Kamera auf Schienen, filmte Leni Riefenstahl die Massenaufmärsche und Soldatenparaden. Sie fokussierte ihre Kamera häufig auf gestählte, gesunde Männerkörper und den perfekten Gleichschritt der Soldatenmassen – ganz im Sinne der Ideologie der Nazis. Die technischen Neuerungen, das umfassende Equipment sowie das große Team von Riefenstahl waren möglich, da die Nazispitze sehr viel Geld für die Propagandafilme zur Verfügung stellte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg musste sie sich mehrmals vor Gericht verantworten, so z.B. wurde über ihre Vorgehensweise während der Dreharbeiten zu „Tiefland“ prozessiert. Diesen Film konnte sie aufgrund des Krieges nicht wie geplant in Spanien weiterdrehen, sondern nahm stattdessen Roma und Sinti aus Konzentrationslagern als Statisten, die sie nach den Filmarbeiten wieder dorthin zurück schickte. Eine dieser Statistinnen war Rosa Herzenberg. „Im Jahre 1940 wurde die damals 9-jährige Rosa Herzenberg gezwungen als Statistin im Film Tiefland von Leni Riefenstahl mitzuwirken. Anschließend wurde sie wegen ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Sinti von den Nationalsozialisten in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau deportiert, wo sie zu Tode kam. Sie wurde unter der KZ-Nummer 6540 registriert. Das Todesdatum ist nicht bekannt.“ (aus dem Gedenkbuch: Die Sinti und Roma im KZ Auschwitz Birkenau. Landesarchiv Salzburg: Verzeichnis der im Zigeunerlager Trabrennplatz zusammengezogenen Zigeuner, nach Haider, 2005: 24) Riefenstahl wurde freigesprochen. Jedoch wurde in ihrem 100sten Geburtstagsjubiläumsjahr 2002 der Rechtsprozess erneut aufgenommen. Der Kölner Rom e.V. (gemeinnütziger Verein zur Verständigung von Rom [Roma und Sinti] und Nicht-Rom) klagte sie bezüglich ihrer Aussage, dass sie die Statisten aus den Konzentrationslagern nach 1945 wieder gesehen hätte. Sie nahm diese Aussage zurück, das Verfahren wurde eingestellt, die kritische Diskussion jedoch wieder entfacht.

Nur langsam erholte sie sich in der Nachkriegszeit von der Ablehnung und teils heftigen Kritik, die ihre Filme erfuhren. In den 70er Jahren feierte sie trotzdem als Fotografin ein Comeback. Sie lebte einige Zeit in Afrika und fotografierte dort den Nuba-Stamm. In einer Rezension kurz nach Veröffentlichung eines Bildbandes schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung: „Es ist erschreckend, wie man Sensibilität für Schönheit und Form gleichermaßen für die schauerlichste Propaganda und für die Dokumentation eines untergehenden Volkes einsetzen kann“ (nach dem Institut für Film- und Fernsehwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum, 2002).

Link zu einem Ausschnitt aus der Dokumentation von Ray Müller über Leni Riefenstahl:http://www.youtube.com (abgerufen am 12.1.2108)

Link zu einer Präsentation über filmische Arbeiten für das Naziregime von Leni Riefenstahl: http://www.ruhr-uni-bochum.de (abgerufen am 12.1.2018)

(cke) 

Links, Film- und Lesetipps:

http://www.ruhr-uni-bochum.de/riefenstahl/home.shtml (Institut für Film- und Fernsehwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum (2002): Riefenstahl-Rezeption) (abgerufen am 12.1.2018)

Frankfurter Allgemeine Zeitung (2002): Statt Blumen: Riefenstahl droht neuer Prozess. 14.08.2002, verfügbar unter http://www.faz.net (abgerufen am 12.1.2018).

DVD: Die Macht der Bilder. Regie: Ray Müller. Deutschland/England/Belgien 1993.

Quellen:

Wiebke Brauer (2003): Zum Tode Leni Riefenstahls, „Realität interessiert mich nicht“. In: Der Spiegel. 09.09.2003, verfügbar unter http://www.spiegel.de/kultur (abgerufen am 12.1.2018).

Frankfurter Allgemeine Zeitung (2002): Statt Blumen: Riefenstahl droht neuer Prozess. 14.08.2002, verfügbar unter http://www.faz.net/ (abgerufen am 12.1.2018).

Frankfurter Allgemeine Zeitung (2002): Ein Aktenordner voller Angriffe. 15.08.2002, verfügbar unterhttp://www.faz.net/s/ (abgerufen am 12.1.2018).

Der Funke (2001): „Über alles ist Gras gewachsen… Leni Riefenstahl und ihr Film „Tiefland“, verfügbar unterhttp://www.derfunke.at (abgerufen am 12.1.2018).

Hans Haider (2005): Nationalsozialismus in Villach, 3. erweiterte Auflage. Edition kärnöl. Klagenfurt/Wien: Kitab-Verlag

Institut für Film- und Fernsehwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum (2002): Riefenstahl-Rezeption. Publizistik: FAZ & FR – Ein Vergleich, verfügbar unter http://www.ruhr-uni-bochum.de/riefenstahl (abgerufen am 12.1.2018).

Wikipedia: Leni Riefenstahl http://de.wikipedia.org/wiki/Leni_Riefenstahl (abgerufen am 12.1.2018).

Bildquellen:

http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bundesarchiv_Bild (abgerufen am 12.1.2018),