Krieg und Zivilisierung

Das zivilisatorische Hexagon von Friedensforscher Dieter Senghaas stellt eine Friedenstheorie dar, die Frieden als Zivilisierungsprozess versteht. In dieser Perspektive herrscht Frieden dann vor, wenn eine Konstellation, eine Zusammenspiel von sich gegenseitig stützenden Bedingungen vorhanden ist.

Vor allem sechs Bedingungen einer zivilisierten, d. h. nachhaltig gewaltfreien Bearbeitung von unvermeidlichen Konflikten werden darin
hervorgehoben:

1. Gewaltmonopol: Gewalt darf – außer in Fällen von Notwehr und Nothilfe – ausschließlich von den dafür zuständigen staatlichen Organen ausgeübt werden.

 „Wesentlich für jeden Zivilisierungsprozess ist die Entprivatisierung der Gewalt bzw. die Herausbildung eines legitimen, in aller Regel staatlichen Gewaltmonopols, dem die einzelnen untergeordnet sind (‚Entwaffnung der Bürger‘). Wo das Gewaltmonopol zusammenbricht, also die Wiederaufrüstung und Wiederbewaffnung der einzelnen Bürger eine Chance bekommen, kann es zu einer ‚Renaissance von Bürgerkriegssituationen‘ kommen.

2. Rechtsstaatlichkeit: Jede/r BürgerIn hat das Recht, die Institutionen des Rechtsstaates für die legitime Durchsetzung eigener Interessen und die Lösung von Konflikten zu nutzen.

„Ein Gewaltmonopol, das nicht durch Rechtsstaatlichkeit eingehegt wird, wäre im Grenzfall nichts mehr als eine beschönigende Umschreibung von Diktatur … Soll demgegenüber das Gewaltmonopol als legitim akzeptiert werden, bedarf es der Institutionalisierung rechtsstaatlicher Prinzipien und öffentlicher demokratischer Kontrolle, auf deren Grundlage sich Konflikte in einem institutionellen Rahmen fair austragen lassen.

3. Interdependenzen: Alle Mitglieder einer Gemeinschaft stehen in gegenseitiger Abhängigkeit zueinander. Nachhaltiger Friede ist nur möglich durch die Anerkennung von Unterschieden bei gleichzeitigem Gewaltverzicht.

„Die Entprivatisierung von Gewalt und die Sozialisation in eine Fülle von institutionalisierten Konfliktregelungen implizieren eine Kontrolle von Affekten. Solche Selbstkontrolle wird maßgeblich durch die Herausbildung von großflächig angelegten Verflechtungen und gegenseitigen Abhängigkeiten … Affektkontrolle ist Grundlage nicht nur von Aggressionshemmung und Gewaltverzicht, sondern darauf aufbauend von Toleranz und Kompromissfähigkeit.

 4. Demokratische Partizipation: Demokratisierung bedeutet die gleichberechtigte Einbeziehung möglichst aller Beteiligten in Prozesse der Entscheidungsfindung.

„In aller Regel werden in fortgeschrittenen sozial mobilen Gesellschaften Unterordnungsverhältnisse aufgrund von Geschlecht, Rasse, Klasse oder anderen Merkmalen von den Betroffenen nicht mehr hingenommen. In demokratisierten Rechtsstaaten mit einem hohen Politisierungspotential untergräbt solche Diskriminierung die politische Stabilität.

5. Soziale Gerechtigkeit: Die Gesellschaft schützt ihre Mitglieder ausnahmslos vor Armut und Diskriminierung jeglicher Art.

„In Gesellschaften mit einem erheblichen Politisierungspotential ist eine aktive Politik der Chancen- und Verteilungsgerechtigkeit, letztlich ergänzt um Maßnahmen der Bedürfnisgerechtigkeit (Sicherung der Grundbedürfnisse), unerlässlich, weil nur dann sich die Mehrzahl der Menschen in einem solchen politischen Rahmen fair behandelt fühlt.

 6. Konfliktkultur: Die Mitglieder einer Gesellschaft sind fähig, Konflikte produktiv und kompromissorientiert auszutragen.

„Gibt es in einer aufgegliederten, aber deshalb auch zerklüfteten Gesellschaft faire Chancen für die Artikulation und den Ausgleich von unterschiedlichen Interessen, kann unterstellt werden, dass ein solches Arrangement verlässlich verinnerlicht wird, eine Bereitschaft zur produktiven Auseinandersetzung mit Konflikten vorliegt und kompromissorientierte Konfliktfähigkeit einschließlich der hierfür erforderlichen Toleranz zu einer selbstverständlichen Orientierung politischen Handelns wird.

Ein so verstandener Frieden ist kein Naturzustand sondern ein Prozess, der immer wieder neu gestaltet und überprüft werden muss.

Das Konzept entstand aufgrund historischer Erfahrungen aus der neuzeitlichen europäischen Geschichte und ist abstrakt analytisch. Aus diesem Grund wird auch immer wieder die Frage gestellt, ob dieses Deutungsinstrument vorwiegend für europäisch-westliche Zusammenhänge geeignet ist oder auch auf anderen Weltregionen übertragbar ist.

Lesetipps:

Ulrich Menzel (Hg.) (2002): Vom Ewigen Frieden und vom Wohlstand der Nationen. Frankfurt am Main: Suhrkamp

Quellen:

Dieter Senghaas (1994): Wohin driftet die Welt? Frankfurt/M.: Suhrkamp Verlag.

Dieter Senghaas (1995): Frieden als Zivilisierungsprozeß. In: Ders. (Hg.): Den Frieden denken. Frankfurt/M, S. 196-223, Auszüge.

Dieter Senghaas (Hg.) (1997): Frieden machen? Frankfurt/M.: Suhrkamp Verlag; ISBN 3-518-12000-X

D@dalos-Friedenspädagogik: Hexagon. (abgerufen am 16.1.2018)

Hessische Stiftung für Frieden und Konfliktlösung (abgerufen am 16.1.2018)

Institut für Friedenspädagogik Tübingen (abgerufen am 16.1.2018)

Dadalos (abgerufen am 16.1.2018)

Komitee für Demokratie und Grundrechte (abgerufen am 16.1.2018)

G. Mader, W.-D. Eberwein, W. R. Vogt: Frieden durch Zivilisierung? Probleme- Ansätze- Perspektiven. Agenda. Münster. 1996

Welthaus Bielefeld. Misereor. DED, Entwicklungshindernis Gewalt. Ein Arbeitsbuch über neue Kriege und erzwungene Armut. Peter Hammer Verlag GmbH, Wuppertal 2006.

Bildquelle:

https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Zivilisatorisches_Hexagon.svg (abgerufen am 16.1.2018)