Einfluss von Militär auf Politik

In manchen Staaten hat das Militär großen Einfluss auf die Politik, ohne dabei unbedingt Regierungsverantwortung zu übernehmen.

In manchen Staaten hat das Militär großen Einfluss auf die Politik, ohne dabei unbedingt Regierungsverantwortung zu übernehmen. Politische Gemeinwesen, egal, um welches politische System es sich handelt, sind durch Herrschaftsverhältnisse
geprägt. Diese sind mit Gewalt unterschiedlichster Art verbunden. Das staatliche Gewaltmonopol wird bei Max Weber zum entscheidenden Spezifikum des Staates. Staat ist demnnach „die jenige menschliche Gemeinschaft, welche innerhalb eines bestimmten Gebietes… das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit für sich (mit Erfolg) beansprucht“. Die „legitime Gewaltsamkeit“ des Staates heißt dann, daß einerseits allen Akteuren die Chance der politischen Beteiligung eröffnet, und andererseits akzeptiert wird, daß sie bei der Durchsetzung ihrer Ziele auf physische Gewalt verzichten. Die Mittel der Gewalt sind beim Staat konzentriert, konkret bei den entsprechenden bürokratischen Institutionen: die Polizei für die innere Dimension und die Streitkräfte für die äußere.

Bestimmt die (zivile) Politik nun aber über das Militärische oder dominiert das Militär das Politische? Sicherlich ist kein Staat vor einem militärischen Putsch oder Druck des Militärs gefeit, und es gibt viele unterschiedliche Formen und Schattierungen des Verhältnisses von Staat und Militär. Laut Juan Linz findet man die Unterordnung des Militärs unter die zivile Staatsführung in sehr verschiedenen politischen Systemen: sowohl in sultanistischen, aber auch liberalen und totalitären.
Wenn es allerdings zu militärischen Interventionen in die Politik kommt, so kann dies von folgenden drei Faktoren abhängen:

  • Erstens wird in schweren Krisen der staatliche Sicherheitsapparat, insbesondere das Militär, eher eine Rolle spielen; Kriege bzw. deren Möglichkeit oder innere Unruhen erhöhen diese Wahrscheinlichkeit. Bestimmte Parteien oder politische Fraktionen finden dann größere Sympathie unter den Offizieren. Zugleich werden die Interessen der Streitkräfte von diesen Politikern eher gehört.
  • Zweitens sind die zugrunde liegenden Wertvorstellungen sowie konkrete institutionelle Kontrollmechanismen in den politischen Systemen von großer Bedeutung.
  • Und drittens hängen militärische Interventionen auch von ihrer jeweiligen politischen Legitimität ab. Oft sind es die Zivilisten selbst, die in den Kasernen um Hilfe beim Sturz oder bei der Verteidigung von verfassungsmäßigen Regierungen nachsuchen, und viele Gesellschaften räumen in ihren zivilen und „demokratisch“ eingerichteten Verfassungen dem Militär eine „moderierende“ Macht ein.

Als Ergebnis dieser militärischen Interventionen kommt es oft, jedoch nicht immer, zur Etablierung eines Militärregimes. Wir verstehen unter einem solchen Militärregime eine autoritäre Herrschaftsform, in der die Streitkräfte als Institution in verschiedenen Formen in die Ausübung von politischer Herrschaft dauerhaft eingebunden sind und dabei die Entscheidungsgewalt bzw. erheblichen Einfluß auf wichtige Fragen des Politischen haben.

 

Zum Beispiel: Türkei

Mustafa Kemal Atatürk („Vater der Türken“) war im Krieg gegen die Griechen militärischer Oberbefehlshaber. Nach seinem Sieg über
die Griechen wurde er 1934 erster Präsident der von ihm 1923 neu gebildeten Republik Türkei, welche zuvor das Osmanische Reich war. Er strebte eine große Verfassungsänderung an, um das Land zu reformieren.

Verfassungsänderungen

Seine großen Verfassungsänderungen basieren auf den politischen Leitideen des Kemalismus(= Gesamtheit aller Ideen und Prinzipien Atatürks), welche aus sechs Pfeilern bestehen: Volkssouveränität (Republikanismus), Nationalismus (Ablehnung des Vielvölkerstaats), Populismus (volksorientierte anstatt klassenorientierte Politik), Revolutionismus (Durchführung von Reformen), Laizismus (Trennung von Staat und Religion) und Etatismus (Eingreifen des Staates in die Wirtschaft). Diese Prinzipien gelten auch heute noch und werden durch den Nationalen Sicherheitsrat kontrolliert.

Reformen

Atatürk führte damals sämtliche neue Reformen ein, welche eine Vielzahl von tiefen Einschnitten in Tradition und Gewohnheiten des türkischen Volkes bedeuteten. Er schuf im Namen des Laizismus das Amt des Kalifen, das Sultanat und die religiösen Oberhäupter ab. Klöster, religiöse Gerichtshöfe und Religionsschulen wurden abgeschafft, die allgemeine Schulpflicht eingeführt. Diese Säkularisierung hatte auch zur Folge, dass das Tragen religiöser Trachten, wie dem Turban, verboten wurde. Letztlich ließ er den Koran in die türkische Sprache übersetzten und erklärte den Sonntag, statt den für die Muslimen heiligen Freitag, zum Feiertag.

Atatürk unterstützte durch seine neue Staatsordnung auch die Emanzipation der Frauen. Er ordnete das eheliche Scheidungsrecht für Frauen, das Frauenwahlrecht, die rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau, die Förderung einer höheren Schulbildung und den Zugang zu Universitäten für Frauen an.

Diese neuen Reformen gingen mit Protesten einher, insbesondere in den Gebieten der KurdInnen, die jedoch gewaltsam niedergeschlagen wurden. Die negative Rolle des türkischen Militärs in der Unterdrückung der kurdischen Opposition gründet u. a. auf diesen gesellschaftlichen Widersprüchen.

Die Rolle des Militärs

Das Militär, welches maßgeblich an der Republikgründung und Reformbildung beteiligt war, hat aufgrund seiner Sonderstellung großen Einfluss auf Politik und Gesellschaft. Das türkische Militär übernimmt auch heute noch die Kontrollfunktion über den Schutz des Kemalismus, was gesetzlich in der Verfassung verankert steht. Deshalb sieht es sich auch dazu legitimiert, Regierungen oder Parteien zu stürzen. Der Verfassung zufolge ist die türkische Republik ein demokratischer und laizistischer Rechtsstaat basierend auf den Werten des Kemalismus. Trotz parlamentarischer Demokratie hat sich das Militär bereits dreimal an die Macht geputscht (1960, 1971 und 1980), als Prinzipien der Türkischen Republik gefährdet schienen. Diese Intervention führten 1997 auch zum Rücktritt der Regierung. Die tiefe Verwurzelung des Kemalismus in der türkischen Gesellschaft zeigte sich auch bei den Parlamentswahlen im April 2007, als die CHP (Atatürks sozialdemokratische Republikanische Volkspartei) den Sieg der AKP, welchen von den Oppositionsparteien eine Islamisierungspolitik unterstellt wird, boykottierte. Unterstützt werden die Aktionen des Militärs vom Nationalen Sicherheitsrat, der als beratendes Organ innerer und äußerer Sicherheit gilt.

Dass das Militär dabei die Kontrolle über die Politik behält, wird von der türkischen Gesellschaft weitgehend akzeptiert. Das Leitbild, das in den Militärakademien und durch ihre Mitglieder in der Gesellschaft  gelehrt wird, hat auch anerkannte Funktionen im Sinne sozialer Gerechtigkeit. Männern aus unteren sozialen Schichten werden – anstatt von politischen Institutionen – Lesen und Schreiben, beigebracht, sie bekommen berufliche Ausbildungsmöglichkeiten und Schulungen angeboten.

„Das Besondere dieser Konstellation aber ist, dass das türkische Militär niemals die Übernahme der Macht und die Gründung eines Militärstaates angestrebt hat, denn für diese ist der effektive Einfluss und die Kontrolle der Politik gewichtiger als die Übernahme der Regierungsfunktion.“

(red)

Quellen, Links und Literaturtipps:

Raimund Krämer, Armin Kuhn (2005): Militär und Politik in Süd- und Mittelamerika: Thesen. In: WeltTrends, Jg. 13, Nr. 49, S. 11-23.

Auswärtiges Amt: Türkei/ Staatsaufbau – Grundlinien der Innenpolitik; Bearbeitungsstand: November 2007 (Stand 2010)

Kemalismus (abgerufen am 15.2.2018)

Mustafa Kemal Atatürk (abgerufen am 15.2.2018)

Das türkische Militär und der EU-Beitritt; (Stand 2008)

Informationsstelle Militarisierung (15.2.2018)

Komitee für Demokratie und Grundrechte (15.2.2018)