Tiefenkulturen
Am Beispiel:
Gewalt ist oft nicht nur auf der persönlichen und sichtbaren Ebene vorhanden, sondern äußert sich auch in strukturellen und kulturellen Ebenen.
Dies ist zum Beispiel zu beobachten, wenn in einem Land, in welchem Krieg herrscht, ein Waffenstillstand ausgehandelt wird. Dieses Abkommen wird oft als „Friedensabkommen“ bezeichnet. Doch schaut man sich diese Länder genauer an, ist das Beenden von direkter Gewalt noch lange nicht gleichzusetzen mit „Frieden“. Die Ungleichheiten bestehen weiter, und die meisten Menschen leiden unter den Auswirkungen des Krieges. Werden diese „unsichtbaren“ Bereiche nicht beachtet und bearbeitet, ist ein Krieg nur eine Station in einem Teufelskreis aus Gewalt und Hass. Die „Verlierer“ wollen Rache und geben den Hass ziemlich wahrscheinlich an die nachfolgenden Generationen weiter, während die „Gewinner“ noch mehr Ruhm wollen und süchtig nach Siegen werden.
Aber auch in Ländern, die nicht direkt von kriegerischen Auseinandersetzungen betroffen sind, gibt es strukturelle und kulturelle Gewalt. Denn überall, wo Ungleichheiten systematisch erschaffen oder aufrechterhalten werden und womöglich noch in Institutionen, wie Schule oder Staat, eingefroren sind, spricht man von struktureller Gewalt. Diese Ungleichheiten zwischen Mächtigen und Ohnmächtigen können z. B. Mann und Frau betreffen (Sexismus), oder Menschen anderer Hautfarbe (Rassismus) oder auch zwischen den Generationen entstehen (keine Rechte für Kinder).
Diese Tiefenstrukturen sind in jeder Kultur anders ausgeprägt. Von welchen Annahmen und Glaubenssätzen diese Strukturen beeinflusst werden, hängt von der Tiefenkultur ab. Diese Tiefenkultur ist stark geprägt von den religiösen und spirituellen Bildern einer Kultur, aber auch von den durch Gewalt erlebten Traumata, z. B. Kriege. In Zeiten, in welchen Unsicherheit herrscht oder eine Bedrohung wahrgenommen wird, werden diese „Bilder“ heraufbeschworen. Dies können Bilder von heldenhaften, glorreichen Taten und Mythen sein oder auch von kollektivem, d. h. von der Gesellschaft wahrgenommenem Schmerz und kollektiver Verletzung.
Strukturelle und kulturelle Gewalt brauchen also keine Person als TäterIn, es gibt keine einzelnen AkteurInnen mehr. Diese Gewalt tötet nicht und bringt auch keine Verletzten hervor, sondern liefert Rechtfertigungen (Legitimation) für direkte, physische Gewalt. Das Problem dabei: Je mehr die persönliche, direkte Gewalt zunimmt, desto stärker wird auch strukturelle und kulturelle Gewalt gefestigt und verinnerlicht.
Die gute Nachricht ist, dass in der Tiefenstruktur und in der Tiefenkultur auch der Ausweg liegt, denn es gibt ebenso Bilder, die zeigen, wie friedlich mit Konflikten umgegangen werden kann. Meist sind diese allerdings „verschüttet“, weil die Menschen es gewohnt sind, mit Gewalt zu reagieren, wenn ihnen etwas nicht passt. Beispiele für die Veränderung gewalttätiger Strukturen sind z. B. die Emanzipation der Frau, die Bürgerrechtsbewegung in den USA oder die Abschaffung der Apartheid in Südafrika. Dies sind erste Schritte, um die großen Ungleichheiten zu bewältigen. (er)
Links:
Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, Literaturangaben und Linksammlung (abgerufen am 15.12.2017)
Cosmo TV, Thema Jugendgewalt: https://www1.wdr.de/fernsehen/indexcosmotv100.html (abgerufen am 17.12.2017)
http://kelmaninstitute.org(abgerufen am 17.12.2017)