Antisemitismus
Der Antisemitismus, eine Ideologie, die sich im 19. Jahrhundert entwickelte, war zwar dem Namen her vor 1870 unbekannt, nicht jedoch, was die Argumente betrifft.
Die Ursprünge des Antisemitismus – des „Hasses gegen Juden“ – reichen in der Geschichte weit zurück. Werner Bergmann spricht in seinem Buch „Die Geschichte des Antisemitismus“ von „mehreren historischen Schichten“, die immer mehr ineinander übergingen. Bei der frühesten Form, dem christlichen Antijudaismus, handelte es sich um die religiös motivierte Ablehnung des Judentums durch das Christentum. Bereits im Neuen Testament entwickelte sich eine antijüdische Tradition. Im Zentrum stand die Betonung von Juden an der Leidensgeschichte Jesu (Matthäus 27,25: „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder“; Markus 15,6-15; Lukas 23,13-25), die schließlich ihre Spitze im Vorwurf des Christusmordes fand. Im Johannes-Evangelium werden Juden zu Feinden des Christentums erklärt und beschuldigt, sie hätten „den Teufel zum Vater“ (8,23 und 8,40-44).
Die Christianisierung Europas sowie missionarische Bestrebungen trugen dazu bei, dass Vorurteile Eingang in die zunehmende Volksfrömmigkeit fanden. Im Mittelalter warf man Juden vor, Hostien (und damit den Leib Jesu) zu schänden, Kinder zu entführen (z.B. die Ritualmordlegende des „Anderl von Rinn“), um sie bei Ritualen zu opfern oder Brunnen zu vergiften. Beim IV. Laterankonzil 1215 wurden Juden in eine soziale Außenseiterrolle gedrängt: Sie mussten ein so genanntes „Stigma“ (Zeichen) an ihrer Kleidung tragen (z.B. Judenringe, gelbe Bänder oder besondere Hüte) und die Zulassung zu christlichen Zünften wurde ihnen verwehrt, nur Geldleihe und bestimmte Bereiche des Handels waren erlaubt, was wiederum Christen verboten war. Das Bild des „reichen Juden“ entwickelte sich zum Stereotyp. Im Zuge der Aufklärungsbewegung und der zunehmenden rechtlichen und sozialen Emanzipation der europäischen Juden engagierten sich Juden besonders in linken und liberalen Parteien und Bewegungen, die sich für eine Gleichstellung einsetzten. Die Nationalsozialisten sprachen vom „jüdischen Bolschewismus“, um nach der Oktoberrevolution in Russland die Angst der Bevölkerung vor einer kommunistischen Wende für ihren Antisemitismus zu instrumentalisieren.
Ende des 19. Jahrhunderts wurde der so genannte „Sozialdarwinismus“ (Charles Darwins Theorie von der natürlichen Zuchtwahl in der Tier- und Pflanzenwelt wurde auf den Menschen umgelegt) mit dem Antisemitismus verbunden. Nach dieser Theorie war der „reinrassige Arier“ mehr „wert“ als ein Jude. Die Nationalsozialisten erhoben diese Form des Antisemitismus zur Staatsdoktrin, was im Plan der so genannten „Endlösung“ gipfelte: dem Versuch der kompletten physischen Vernichtung aller europäischen Juden. Trotz des Holocaust existiert der Antisemitismus bis heute. Ein Beispiel: Im Sinne einer „jüdischen Weltverschwörung“ glauben in Österreich immerhin noch 15%, dass der weltweite „jüdische Einfluss“ zu groß sei, 30% stimmen dieser Aussage zumindest teilweise zu.
Am Beispiel: Nationalsozialismus
Das NS-Regime vertrat eine pseudowissenschaftliche biologistische Ideologie. Der „Volkskörper“ sollte von „minderwertigen Gruppen“ freigehalten werden. Die Gruppe, die davon mit voller Wucht getroffen wurde, waren die Juden. Sie sollten durch Entrechtung und gezielte Verelendung aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden. Das so genannte „Novemberpogrom“ in der Nacht vom neunten auf den zehnten November 1938 sollte die geplante Zwangsemigration beschleunigen. Schon drei Jahre zuvor, am 15. September 1935, wurde das sogenannte „Erbschutzgesetz“ beschlossen, das Juden, Sinti und Roma verbot, „Mischehen“ einzugehen und sexuelle Beziehungen zu „Ariern“ zu unterhalten. Mit dem Einmarsch in Polen Anfang September 1939 begannen die Massenerschießungen. Der Feldzug gegen die Sowjetunion wurde als gezielter Vernichtungskrieg geführt. Nachdem bereits viele zehntausende Juden erschossen worden waren, beschloss die NS-Führung, alle Juden im reichsdeutschen Einflussbereich zu töten. Die letzte Phase der sogenannten „Endlösung“ begann Mitte 1942. Juden wurden deportiert und in den Vernichtungslagern in Polen und den sowjetischen Westgebieten ermordet. Nur ein Jahr später war im deutschen Herrschaftsgebiet nur noch ein Drittel der Juden am Leben.
Links und Lesetipps:
Yizhak Ahren (1990): „Der ewige Jude“: wie Goebbels hetzte ; Untersuchungen zum nationalsozialistischen Propagandafilm. Aachen: Alano, Edition Herodot.
Hannah Arendt (1991): Israel, Palästina und der Antisemitismus. Berlin: Wagenbach.
Wolfgang Benz (2001): Bilder vom Juden. Studien zum alltäglichen Antisemitismus. München: Verlag Beck.
http://www.erinnern.at/bundeslaender/oesterreich/e_bibliothek/antisemitismus-1/Antworten%20auf%20haufig%20gestellte%20Fragen%20JMH.pdf (abgerufen am 15.12.2017)
Quellen:
Hannah Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Verlag Piper, München 1986, 17.
Volker Dahm, Albert A. Feiber (2008): Die tödliche Utopie. Bilder, Texte, Dokumente, Daten zum Dritten Reich. München: Veröffentlichungen des Instituts für Zeitgeschichte zur Dokumentation Obersalzberg, S. 373, 394.
Werner Bergmann, Antisemitismus – eine Einführung aufhttp://www.antisemitismus.net/geschichte/bergmann.htm und in Werner Bergmann (2002): Geschichte des Antisemitismus. München: Verlag C.H. Beck. (abgerufen am 15.12.2017)
TNS Sofres (2005): Thinking about the Holocaust 60 Years Later. A Multinational Public-Opinion Survey. Conducted for the American Jewish Committee. March- April 2005 (http://www.erinnern.at/e_bibliothek/antisemitismus-1/612_Holocaust_Survey.pdf) (abgerufen am 15.12.2017)
Bildquelle:
https://de.wikipedia.org/wiki/Der_ewige_Jude_(Ausstellung)#/media/File:Plakat_der_ewige_Jude,_1937.jpg (abgerufen am 15.12.2017)