Rezension: Siba Shakib: Nach Afghanistan kommt Gott nur noch zum Weinen

Dieser Text entstand im Rahmen des Schulprojektes "WhyWar.at - Afghanistan" im Sommersemster 2008 und wurde gestaltet von: Sara Tamburini. Begleitung und Bearbeitung: Martin Gmachl

Shirin- Gol, die auf Deutsch süsse Blume heisst, wird als fünftes Kind einer Bauernfamilie geboren. Schon früh muss sie eine Mutterrolle übernehmen und auf ihre beiden kleinen Brüder (Zwillinge) aufpassen. Sie lernt, dass eine Frau nichts zu sagen hat und ihren ganzen Körper verschleiern muss. Dann kommen die Russen. Ihr Vater und die beiden älteren Brüder ziehen in die Berge um als Mujahedin gegen die Russen zu kämpfen. Für Shirin- Gol ändert sich nun das Leben. Die Russen kommen, plündern, vergewaltigen und töten die Frauen und Kinder. Wenige Zeit später fallen die ersten Bomben. Shirin- Gols Familie flüchtet nach Kabul, welche unter der russischen Regierung steht. Frauen laufen in Kabul „nackt“, d.h ohne Bedeckung herum, sprechen mit Männern und sehen die Männer direkt an.

Für Shirin- Gol ist es unglaublich und widerwärtig. Die russische Regierung hat verordnet, dass sich Frauen nicht verschleiern dürfen und in die Schule gehen müssen. Zudem sollen die Männer der neuen Partei beitreten und gegen die Mujahedin kämpfen. Das passt dem Vater nicht und so zieht er mit seinen älteren Kindern wieder in die Berge um zu kämpfen, die beiden älteren Schwestern nimmt er auch mit. Shirin- Gol bleibt mit der Mutter und den Zwillingen in Kabul und besucht von nun an die Schule. Sie lernt schreiben, rechnen und beginnt zu verstehen, dass Frauen nicht minderwärtig sind und auch Rechte haben.

Abermals verändert sich das Leben. Eines Tages steht Morad ( der Wunsch ) vor ihrer Tür und sagt das ihr Bruder sie an ihm verheiratet hätte. Shirin- Gol hat Glück, denn sie hat sich auf Anhieb in Morad verliebt. Zudem lässt er sie weiter hin die Schule besuchen, er will sogar dass sie sich ihren Wunsch erfüllt, nämlich Ärztin zu werden. Shirin- Gol wird schwanger und bekommt eine Tochter, Morad wird jedoch von den Russen in den Krieg geschickt kehrt nur einmal zurück muss wieder in den Krieg. Shirin- Gol wird wieder schwanger und Morads Schicksal bleibt ihr ungewiss.

Nach 10 Jahren kapitulieren die Russen und ziehen ab. Doch nun geht der Bruderkrieg los. Jeder kämpft gegen jeden, bis die Taleban kommen und die Macht ergreifen. Shirin- Gol, ihre Tochter Nur-Aftab und ihr kleiner Sohn Nasser, ihre Mutter und die Zwillinge flüchten zu Fuss nach Pakistan. In Pakistan angekommen, ziehen sie auch schon wieder weiter in Richtung der Berge in ein afghanischen Flüchtlingslager. Es herrschen wieder alte Gesetze, dass Frauen nur verhüllt und still herum laufen dürfen. Im Lager findet Shirin- Gol Morad wieder. Er arbeitet nun als Schmuggler für die Stammesherren in den sogenannten Tribal Areas. Das sind Gebiete, in denen reiche Drogenbosse regieren und unabhängig von Pakistan und Afghanistan sind. Morad schleppt von nun an Eisschränke, Videos, Zigaretten etc. Leider passiert ein Unfall und Morad muss medizinisch behandelt werden.

Shirin- Gol weiss nicht wie sie das alles bezahlen soll. So kommt es, dass eines Tages der grosse Schmuggelanführer sie zu sich holt, und sie reichlich bezahlt, wenn sie mit ihm schläft. Für Shirin-Gol ist dies eine grosse Schande, doch sie muss irgendwie die Familie ernähren. Sie wird vom Schmuggelanführer schwanger und bekommt eine bildhübsche Tochter Nafass (Atem). Sie wird kurze Zeit später wieder schwanger, dieses mal aber durch eine Vergewaltigung von Polizisten. Sie flüchtet mit ihrer Familie aus Pakistan in ein kleines Dorf in den Bergen. Dort gebärt sie dann auch ihren Sohn, Nabi. Lange kann die Familie jedoch nicht bleiben, denn schon bald wird das Dorf von Raketen zerstört.

Sie ziehen weiter in ein anderes Dorf. Morad findet als Flücker auf Mohnfeldern Arbeit und Shirin-Gol lernt Azadine kennen, die Dorfärztin ist und sehr grossmütig. Es ist eine schöne Zeit bis die Taleban kommen und den Frauen alles verbieten und auch sonst viele Gesetzte erlassen. Nur-Aftab die älteste Tochter, verliebt sich in einem reichen jungen Taleb, der sie auch liebt. Die beiden heiraten. Nun zieht Shirin-Gols Familie ohne Nur-Aftab weiter in den Iran. Dort angekommen, geht es ihnen anfangs gut. Sie und Morad haben Arbeit und die Kinder können in die Schule gehen. Doch nach einigen Jahren sind die Afghanen nicht mehr so willkommen. Sie dürfen nicht mehr in die Schule, verlieren ihre Arbeit und werden von den Iranern geschlagen.

Wieder flüchtet die Familie nach Afghanistan, Nasser bleibt jedoch im Iran. Wieder in Afghanistan, leben sie zuerst in einem Flüchtlingslager ziehen dann jedoch weiter zur Heimatstadt von Shirin- Gol. Doch dort gibt es nichts mehr, also beschliesst Shirin- Gol in das Dorf von Nur-Aftab zu gehen. Diese ist jedoch nicht mehr dort sondern anscheinend in Herat, weiterverheiratet, nachdem ihr erster Mann ermordet wurde.

Shirin-Gol zieht wieder nach Herat, findet Nur-Aftab jedoch nicht. Ein Essensverkäufer unterstützt die Familie und gibt ihnen Geld für eine Weitereise nach Kabul. In Kabul ist den noch mehr verboten, Shirin-Gol trifft sich heimlich mit anderen Frauen und arbeitet ebenfalls heimlich. Sie wird erwischt und muss seit dem betteln gehen. Nachdem Shirin-Gol einen Selbstmordversuch hinter sich hat, zieht die Familie ( Morad ist in Kabul wieder aufgetaucht) weiter. Sie stossen auf Nomaden und schliessen sich ihnen an um nach Faizabad zu gelangen. Dort angekommen findet Shirin-Gol, die nun schon eine Grossmutter ist, ihre Tochter und ihre eigenen Zwillingsbrüder wieder. Die Familie ist wieder vereint.

Persönliche Überlegungen:

In diesem Buch gibt es einige Stellen, zu denen mir mehrer Überlegungen gekommen sind, oder wo ich einfach nur wieder kopfschüttelnd weiterlesen konnte.

1.) „ Am vierzehnten Tag nach dem Brudertod malt sie sich die Lippen rot und die Augen schwarz und geht hinunter ins Dorf. Wohin gehst du? Warum malst du deine Lippen an? Warum trägst du keinen Schleier? […] Ich will mit, ruft Shirin-Gol, als die Schwestern […] wieder die Lippen rot anmalen und wieder ins Dorf gehen. Nein, dass willst du nicht, sagt die Älteste, zieht unter ihrem Rock ein Messer hervor […] und fragt, oder getraust du dich, russische Soldaten aufzuschlitzen?“ (1. Kapitel, Eine süsse Blume und eine Muttermalschwester, Seite 24/ 25)

Ich denke daraus geht deutlich hervor, dass im Krieg alles erlaubt ist. Selbst die strengen patriarchalischen Gesetze werden aufgehoben, damit man den Feind besiegen kann.

2.) „ Shirin- Gol weiss nicht mehr, wie sie sich ein Flüchtlingslager vorgestellt hat. Vielleicht hat sie gedacht, ein Flüchtlingslager sei ein freundlicher Ort, in dem es Menschen gibt, die sich um die Flüchtlinge kümmern, die sie willkommen heissen und trösten[…] Jedenfalls hatte Shirin-Gol nicht gedacht, dass es im Flüchtlingslager kein Essen, kein Wasser, keine Lebensmittel, keine Töpfe und sonst auch nichts gibt, es sei denn man zahlt dafür, es sei denn, eine Hilfsorganisation registriert einen und gibt einem eine Essenskarte, eine Deckenkarte, eine Topfkarte[…], eine Sonst-noch-was-Karte.“ (5.Kapitel, Die Mujahedin, ein Bruderkrieg und noch eine Flucht, Seite 85)

Ich dachte immer es wird den Leuten wirklich geholfen, aber in Wirklichkeit gibt es Tausende Hungerleidende in diesen ‚Hilfslagern‘ und auch die Umgangsformen sind sehr schlecht. Die Flüchtlinge werden sogar angeschrieen.

3.) „ Dabei blicken die Mädchen und Frauen ständig über die Schulter, weil sie fürchten, dass irgendjemand kommen und sie als schlechte Mädchen, als kharab, beschimpfen könnte. Weil irgendjemand kommen und sie tanzen sehen könnte. Weil ihr Ruf ruiniert wäre. Schlechte Mädchen. Leichte Mädchen. Hurenmädchen. Gute Mädchen sitzen ruhig. Senken den Blick. Wenn sie unbedingt die Augen heben müssen, halten sie sie still. Anständige Mädchen erheben nicht die Stimme[…]“ (10.Kapitel, Ein Opfer und eine Hochzeit, Seite 190)

Es ist die klassische Frauenrolle zur Zeit der Taleban. Wie man in diesem Ausschnitt sieht, haben Frauen keinerlei Rechte. Sie sind untergeordnet. Nicht einmal tanzen, singen und lachen durften sie.

4.) „Die Amerikaner, die Briten und die Russen haben sich zwar nach Lust und Laune in unserem Land bedient. An unserem Öl. An unseren Uran. An unserem Gold. An unserem Opium. Sie haben zu ihrem Vorteil Verträge mit Afghanistan abgeschlossen und haben uns benutzt. Und sie werden auch in Zukunft nehmen, was immer sie wollen.“ (15. Kapitel, Eine Königin, die das Sagen hatte, Seite 275)

Ich finde es sehr schlimm, dass die Westmächte nur an ihrem Profit denken. In dieser von Kapitalismus diktierten Welt, sind Nächstenliebe und Menschenliebe wohl Fremdwörter…

Quelle:

Siba Shakib: Nach Afghanistan kommt Gott nur noch zum Weinen. Die Geschichte der Shirin-Gol. München: Goldmann, 2003.