„Angst um die Welt, die ich hab“
SchülerInnen der Rudolf-Steiner-Schule Salzburg sprechen über ihre persönlichen Gefühle zum Thema „Krieg und Terrorismus“, über Angst, Wut, Resignation, Hilflosigkeit und Faszination
Dieses Interview entstand im Rahmen des Schulprojektes „WhyWar.at – Afghanistan“ im Sommersemster 2008 und wurde mit den SchülerInnen Magdalena Wimmer, Aurelia Semperboni, Charlotte Kaufmann, Martina Knoblechner und Felix Hauthaler geführt.
Das Interview führten: Hanna Westman und Hans Peter Graß
Angst
W: Ich empfinde einfach Angst. Ich spür das richtig, dass sich in mir alles zusammenzieht, wenn ich sehe, wie Zivilisten, also Leute, die einfach nichts mit dem Krieg zu tun haben, Frauen und Kinder, getötet oder bedroht werden oder einfach in einem solchen Zustand leben müssen. Da fühl ich Angst.
I: Ist das so etwas wie Mitleid oder hat Angst auch mit Dir selber zu tun?
W: Es hat auch mit mir selber zu tun.
I: Inwieweit trifft der Krieg Dich selbst, obwohl der in Afghanistan stattfindet?
W: Ich glaub, die Kriege haben weltweit eine Auswirkung, auch bei uns. Auch wenn wir sie jetzt nicht direkt spüren, aber irgendwo ist diese Auswirkung.
I: Kann das mit der Angst zu tun haben, Krieg könnte auch dich persönlich treffen – Ganz konkret?
W: Auch, aber nicht so sehr. Es ist eher Angst um die Welt, die ich hab, weil ich fühl mich nicht nur in mir selbst, ich fühle auch ziemlich mit anderen mit.
I: Gibt es jemanden von Euch, der Angst noch konkreter fassen kann und sagt: „Ich hab wirklich Angst davor, dass Krieg mich persönlich trifft.“
W: Ich glaube irgendwie, wenn es einen nicht persönlich betrifft, dann kann man es sich nicht vorstellen, wie es wirklich ist. Deswegen kann ich gar nicht sagen, dass ich Angst davor hab, dass es hier Krieg geben könnte. Erst wenn es soweit ist, dann kann ich das irgendwie fassen. Aber so? Ich glaub, das ist für mich zu weit weg.
W: Man kann diese Angst nicht spüren. Bei uns ist es einfach anders. Ich meine, wenn man Bilder sieht, dann fühl ich was anderes als Angst.
I: Was?
W: Es ist eher so was wie Trauer – aber keine Angst.
I: Es ist keine Angst, dass es existenziell um Euer Leben gehen könnte?
W: Ich glaub, das muss man miterlebt haben, um so was wirklich zu fühlen.
I: Das Thema Afghanistan steht auch immer in Verbindung mit „Terrorismus“ und natürlich haben Menschen in Europa Angst, dass Terrorismus auch sie treffen könnte. Kennt ihr diese Angst?
W: Also, ich weiß, dass andere Leute Angst haben, wenn sie fliegen oder dass sie sich einfach Gedanken machen, das könnte auch mal hier sein. Deutschland ist ja z. B. in Afghanistan mit Soldaten vertreten. Da haben auch Leute was dagegen. Bei mir persönlich ist es nicht so. Ich hab da noch ein Vertrauen, dass es mich nicht trifft oder dass es bei uns noch so sicher ist. Aber ich glaub, es gibt in Salzburg Leute, die Angst haben, auch vor Terroristen.
I: Ein bekannter Schriftsteller hat einmal gesagt, dass, wenn nicht endlich die Probleme der sogenannten dritten Welt gelöst würden, der Terrorismus über kurz oder lang auch bei uns im Westen zur alltäglichen Erfahrung werden könnte. Was sagt ihr dazu? Könnt ihr das nachvollziehen oder würdet ihr sagen, das ist Panikmache?
M: Ja, für uns ist Terror etwas ganz Spezielles, weil es ihn in Europa vorher nicht so gegeben hat – außer in Nordirland oder im Baskenland. Aber Menschen in Südamerika etwa, die sind schon immer mit Terror konfrontiert gewesen, damit, dass sie von irgendwelchen Leuten bedroht werden, dass irgendjemand kommt und ihnen ihre Sachen nimmt. Darum glaub ich, dass die Angst bei uns größer ist, weil es einfach was Neues ist.
I: Das heißt, wer alltäglich Erfahrung mit Krieg hat, eventuell sogar wenige Angst empfindet als jemand, der das gar nicht kennt, das nur im Kopf hat?
M: Irgendwann bildet man auch eine Schutzschicht gegen so was.
W: Ich glaube, wir waren uns immer sicher, dass in Europa oder auch in Amerika eigentlich nichts passieren kann. Wir haben Sicherheit, eine gute Politik, halten die Menschenrechte hoch und jetzt kommen da Leute und jagen sich irgendwo in die Luft. Das ist natürlich ein Schock für viele.
M: Die Angst ist ja erst nach dem 11. September gekommen. Dass man es wirklich wahrgenommen hat, jetzt könnte es dich persönlich treffen, auch in Europa.
I: Wie geht ihr eigentlich mit Angst um? Was kann man dagegen tun?
W: Ich finde, die Angst muss man nicht bekämpfen, natürlich, wenn es schlimm wird, dann schon, klar. Aber ich finde es gut, wenn man noch ein Gespür dafür hat.
M: Für mich ist Angst was ganz anderes. Meine Eltern zum Beispiel sind gerade in Indien und da hat es ja vor ein paar Wochen Anschläge gegeben. Ich hab eigentlich, wenn ich irgendwo in Europa bin, weniger Angst, dass mich selber so etwas treffen könnte. Aber jetzt sind meine Eltern dort….
I: Ihr habt schon gesagt, Angst ist etwas Realistisches, was Notwendiges, eine ganz normale Reaktion. Was tut man aber, wenn die Angst zu groß wird? Wenn die Angst so groß wird, dass man nicht mehr handeln kann oder dass man nicht mehr schlafen kann. Wie geht ihr mit so was um oder wie würdet ihr mit so etwas umgehen?
W: Also ich glaub, ich würde probieren mit jemandem darüber zu sprechen.
W: … und mich darüber zu informieren.
I: Hat jemand, der mehr weiß, weniger Angst?
M: Ich glaub schon, dass die Angst auch noch zusätzlich aufgebauscht wird. Dass der Terrorismus zwar existiert, aber nicht in einem so großen Ausmaß wie behauptet.
I: Das heißt, Angst wird auch geschnürt?
M: Ja.
I: Mit welchem Ziel?
M: Dass sich die Leute gegen eine bestimmte Gruppe richten.
W: Oder dass sie einfach schön brav dort bleiben, wo sie sind. Wer Angst hat, der versteckt sich gern und wir verstecken uns hinter dem Staat oder wo auch immer. Wenn wir alle Angst haben, dann halten wir zusammen, dann sind wir sozusagen eine Masse. Und ich glaube, das ist auch von vielen so gewünscht.
W: Ich glaube, dass auch von den Medien ziemlich viel Angst geschürt wird.
Mitleid
I: Was anderes: Was verbindet ihr mit Mitleid?
W: Ich empfinde in vielen Fällen Mitleid, aber es gibt dann auch manchmal so Fälle, wo ich es schon einfach nicht mehr sehen kann – wenn man etwas immer wieder sieht und immer wieder, dann schwächt es bei mir manchmal ganz ab.
M: Das erinnert mich auch an den Film „Hotel Ruanda“. Da sagt ein Journalist, dass die Leute beim Abendessen im Fernsehen Bilder vom Krieg sehen und sagen, „Oh wie schlimm!“ und weiter essen. Für mich ist das eine der schockierendsten Sachen, die es gibt – weil es auch wirklich so ist. Ich sitze daheim und lese Zeitung und lese, dass so und so viele Leute getötet worden sind und denke mir: „Ja es ist schlimm, aber was soll ich tun?“
I: Ist Mitleid ein verständliches Gefühl oder müsste man nicht sagen: „Wir können nicht mit allen Mitleid haben, weil sonst müssten wir aufhören?“
M: Ja schon, aber das geschieht nur in einem ganz kurzen Moment. Der Moment geht wahrscheinlich nicht länger hinaus als man das Bild sieht. Man nimmt wahr, was es ist, man liest und dann ist es vorbei.
W: Bei mir ist es so, dass, wenn ich eine Geschichte dazu habe, ich viel eher Mitleid empfinden kann. Wenn ich jetzt ein Bild sehe und darunter steht was über den Menschen, den es betroffen hat und was er für ein Leben hatte, dann empfinde ich sehr wohl ziemlich tiefes Mitleid. Dagegen, wenn ich nur so Nachrichtenbilder sehe von irgendwelchen Straßenszenen oder so, dann block ich da ab, damit ich mich einfach nicht belaste damit.
W: Wenn ich zum Beispiel nur ein Bild sehe und ich weiß gar nicht, mit was es zu tun hat, dann kann es trotzdem bei mir extrem stark Mitleid auslösen, auch wenn da nichts dabei steht. Wenn ich das einfach nur sehe.
W: Aber wenn bei uns was Schlimmes passieren würde, da fühlt man eher Mitleid, weil es uns direkt betrifft.
I: Weil es näher ist?
W: Ja
W: Ich denke, Mitleid ist nicht so ein starkes Gefühl wie zum Beispiel Angst. Das kann man eher verdrängen.
W: Also ich finde, Mitleid soll man zulassen. Es ist, glaub ich, gut, wenn man es hat. Wenn man es spürt.
I: Die Vorstellung, man hätte kein Mitleid, ist etwas Schlimmes. Aber gleichzeitig sollte man nicht zu fest mitleiden, weil man dem anderen damit auch nicht hilft.
W: Ja eigentlich sollte man dem anderen einfach eine Stütze sein.
I: Das wäre zum Beispiel eine Perspektive, eher Stütze zu sein. Nicht nur mitzuleiden, sondern stützen?
W: Ja
M: Von Mitleid sieht man in den westlichen Ländern wenig. Wenn das das Primäre wäre, würde viel mehr passieren in Ländern, in denen es Krieg gibt. Also so vorrangig kann dieses Mitleid da gar nicht sein.
W: Mitleid muss einfach mit Helfen gekoppelt werden. Aber das ist hier in Europa nur sehr wenig ausgeprägt.
I: Susan Sontag, eine bekannte amerikanische Schriftstellerin und Kriegsjournalistin hat fast das gleiche gesagt wie du. Mitleid, sagt sie, sei ein instabiles Gefühl, das geht gleich wieder weg und wenn es nicht von Aktion, von Helfen, von Beziehung getragen wird, nützt es nichts. Es muss sozusagen in Verbindung sein mit dem, dass man was tut. Deshalb passiert es häufig, dass das Gefühl mal schnell da und dann wieder weg ist. Da ist es anders als mit der Angst, die einen weiterhin begleitet.
Hilflosigkeit
I: Ihr habt vorhin von „Hilflosigkeit“ gesprochen, dem Gefühl, man kann ohnehin nichts mehr tun. Wie würdet ihr Hilflosigkeit in diesem Kontext beschreiben?
W: Also ich hab das gesagt, weil ich mir oft denke, ich würde so gerne helfen – wenn ich z. B. ein kleines Kind sehe, das alleine dasteht. Ich würde sehr gerne helfen, aber ich kann nicht. Ich denke mir, ich sitze hier in Europa, mir geht es gut und den Leuten geht es nicht gut und ich kann nichts machen. Das ist einfach ein sehr schlimmes Gefühl.
W: Ich glaube, die Hilflosigkeit gibt es auch vor Ort. Das ist vielleicht noch schlimmer, dass man anwesend ist und das alles sieht und nichts tun kann.
W: Andererseits glaube ich, dass die Hilflosigkeit bei Menschen im Krieg kleiner ist, weil die ja kämpfen müssen. Sie müssen sozusagen ums Überleben kämpfen und haben dann auch noch einen größeren Willen als wir. Wir sind halt einfach da und sagen: Na ja. Wir können nichts machen, weil das Geld fehlt oder die Macht fehlt oder so.
M: Wenn ich an Hilflosigkeit denke, hab ich da immer eine Szene vor Augen. Ich denk mir dann, wie das wäre, wenn ich jetzt ein Junge wäre in Afrika. Ich hätte das Vertrauen, dass irgendwas passiert, irgendwer kommt, irgendwer mir hilft. Aber es kommt einfach niemand. Und dann denk ich mir, das muss ich schnell wieder irgendwie unterdrücken, weil sonst…
I: Was ist sonst?
M: Ich weiß nicht. Dann kommt für mich irgendwo der Zorn.
I: Kommt Zorn nach der Hilflosigkeit?
M: Ja.
I: Kennt ihr das Gefühl, dass, wenn jemand krank ist und man schaut zu, dass man sich dann hilfloser fühlt als der Kranke selber. Wenn es mich selber betrifft, dann kann ich was tun. Aber wenn ich nur zuschauen kann, ist es oft viel schlimmer. Wie kann man diese Hilflosigkeit des Zuschauens überwinden?
W: Mir hilft es manchmal, wenn ich was mache, mit den Händen oder so. Wenn ich dann einfach irgendwas dann mache, ob ich male oder so oder ob ich ein Gedicht schreibe. Also, wenn die Hilflosigkeit zu groß wird, dann versuch ich, aktiv was zu tun, im Internet nachzuschauen, schauen was es gibt, wie ich da jetzt helfen könnte.
W: Man muss einfach irgendwas machen, denn man würde ja verzweifeln, wenn man sich die ganze Zeit hilflos fühlt.
I: Kann man was machen? Besteht da nicht die Gefahr, ich beschäftige mich einfach und trickse mich damit aus? Oder habt ihr das Gefühl, man könnte wirklich gegen Krieg etwas tun?
W: Ja, selber so handeln, dass daraus kein Krieg entsteht. Weil im Grunde geht doch alles vom Einzelnen aus. Es kommt immer darauf an, wie du selbst handelst.
W: Genau, das wollte ich auch sagen. Wenn ich zum Beispiel unsere Welt hernehme, da kommen wir nicht raus, die ist vorerst mal so. Wenn ich mich da hilflos fühle, ist es vielleicht besser, mir jemand anderen schnappen, wo ich sehe, dass es dem nicht gut geht. Dann helfe ich vorerst einmal dem. Ich helfe dann vielleicht nicht dem, den ich im Fernsehen sehe, aber ich helfe jemandem. Das ist auch schon mal ein kleiner Schritt.
M: Ich glaub, es ist wichtig, Politiker zu wählen, die sich wirklich was trauen. Da fällt mir zum Beispiel die Sache mit Tibet ein. Ich glaube der einzige, der wirklich was gegen China gesagt hat, war der polnische Ministerpräsident. Und da denk ich mir, solche Leute braucht es eigentlich noch mehr. Ich weiß nicht, wie der so ist, aber das hat mir gefallen. Es gibt sicher viele gute Politiker, die was verändern wollen, aber immer wieder blockiert werden.
I: Was hat das mit deiner Hilflosigkeit zu tun?
W: Vielleicht hat man dann das Gefühl, dass man diese Hilflosigkeit an jemand anderen abgeben könnte, der mehr Macht hat.
Spenden
I: Zum Thema „Hilflosigkeit“ fällt vielen Menschen „Spenden“ ein. Was haltet ihr davon? Ist Spenden eine Alibiaktion, oder glaubt ihr, dass man dadurch wirklich etwas verändern kann?
W: Das kommt darauf an. Wenn man einfach nur einzahlt, dann glaub ich, bringt es weniger. Ich finde, man sollte sich, wenn man spendet, irgendwas Konkretes aussuchen. Für eine Schule oder einen Kindergarten oder ein Krankenhaus. So was gibt es auch immer wieder. Bei Hilfsorganisationen hab ich mal gehört, dass die teilweise Geld für sich einstecken oder, dass nicht alles dort ankommt, wo es hin soll. Deshalb bin ich erst mal eher skeptisch.
M: So wie bei meiner Oma. Sie spendet auch immer für alle möglichen Sachen. Da denk ich mir auch: Im Endeffekt wird von dem nichts ankommen. Wenn ich bei irgendeiner Tierorganisation etwas spende, dann denk ich mir, ist das eigentlich keine gute Idee, weil, wenn ich dann sehe, was wir da für Sachen zugeschickt bekommen, da geht meine Spende dreimal drauf.
I: Bringt es was für Deine Oma?
M: Ja, glaub ich schon. Das ist einfach der Glaube an das Gute. Das ist bei denen so da….
I: So wie ihr schon gesagt habt: Indem ich was tue, verändere ich schon, sogar, wenn es gar nicht ankommen würde. Eine Aktion, die wichtig ist, auch für einen selber.
M: Meine Oma, die weiß da auch keinen Ausweg, was sie anders machen soll. Aber sie macht was.
W: Ich glaube, das hat auch mit der älteren Generation zu tun. Ich glaub nicht, dass, wenn von uns jemand irgendeiner Organisation was spenden würde, der würde sich sicher mehr informieren, wo das überhaupt hingeht.
I: Wir haben viel zu Afghanistan gehört. Gibt es Geschichten, von denen ihr sagt, da könnte ich meine Hilflosigkeit ganz konkret überwinden? Außer Spenden…
W: Ich denk mir immer, ich würde einfach gerne hinfahren, wenn ich mal alt genug bin, mir ein Bild von der Lage machen und selber versuchen, irgendwo zu helfen. Das ist zwar eventuell nicht sehr realistisch, aber das ist einfach ein Wunsch von mir.
W: Auch ich denk mir, dass man meistens mehr bewirken kann, wenn man selber dort ist, als wenn man Geld dahin schickt.
W: Ich finde das auch. Als es damals den Tsunami gab, da haben sie ja auch unheimlich viel Geld hingeschickt. Aber ich glaube, wenn da jetzt ein Mensch hinkommt, das ist was ganz anderes als Geld. Wenn Kinder, die traumatisiert sind, jemanden vor sich haben, mit dem sie spielen können, mit dem sie sprechen können, das ist schon ganz was anderes, Geld kann zwar wichtig und lebensnotwendig sein, aber ein Mensch ist immer noch wertvoller, viel wertvoller.
Zorn
I: Zorn haben wir ja schon angesprochen. Was ist das für ein Gefühl?
M: Zorn hab ich erwähnt, weil ich nicht weiß, was ich dagegen machen kann. Es ist einfach so, dass ich das Handeln häufig anderen überlassen muss, aber Leuten, die überhaupt nicht vertrauensvoll sind. Dann hab ich einen Zorn darauf, dass die eigentlich immer damit weitermachen, mit der Kriegstreiberei und so…
I: Was verbindet ihr mit Zorn?
W: Ich empfinde zum Beispiel eher mehr Trauer als Zorn, weil ich da nicht so wütend sein kann. Es macht mich einfach traurig, dass Menschen so sein können.
W: Ich finde, Zorn ist irgendwie eine Wand gegenüber einer Wand. Der Krieg ist für mich eine Wand – und wenn man da mit etwas Hartem dagegenprallt, dann kommt für mich wenig raus. Ich weiß es nicht, ich finde, das müsste man umgehen. So etwas kann man aber nicht mit Zorn. So eine verhärtete Front zu brechen.
W: Ich empfinde auch keinen Zorn, wenn ich Bilder sehe, eher Trauer oder Betroffenheit – Hilflosigkeit. Aber Zorn? Manchmal ärgere ich mich, dass es so sein muss, aber das ist kein richtiger Zorn. Zorn ist für mich etwas Verhärtetes – So ein Ausbruch von Gefühlen und das ist ja eigentlich genau das, was man nicht braucht in einem Krieg. Das ist ja eigentlich ein Krieg.
W: Ich finde, man kann schon zornig sein, wenn man sieht, was die Leute da angestellt haben. Man muss ja nicht… Ich finde, da kann man schon Zorn empfinden.
W: Ja, es kommt vor, dass man Zorn empfindet, aber ich glaube, dass der Zorn Dir irgendwie nicht weiterhilft – In Bezug auf den Krieg.
W: Weiterhelfen nicht, aber…
W: Man empfindet schon…
W: Also ich meine das in Bezug auf den Krieg. Prinzipiell glaube ich hat Wut oder Aggression schon etwas Positives.
M: Wenn sich Masse durch Zorn vereinigt, dann kann es sicher etwas bewirken.
W: Dann ist es das gleiche wieder, von anderer Seite.
M: Naja, es ist nicht unbedingt Krieg.
W: Es ist nicht Krieg, aber es ist auch wieder eine angespannte Situation.
W: Vielleicht bewirkt die aber was.
M: Wenn es notwendig ist, kann es nichts Schlechtes sein, wenn man Zorn gegen jemanden äußert – wenn es nicht körperlich wird.
W: Ja, ok, gut.
I: Würdest Du Widerstand dazu sagen? Widerstand und Zorn haben viel miteinander zu tun. Widerstand gibt es, weil viele Menschen zornig sind. Da kann natürlich wieder so etwas wie neuer Krieg entstehen. Es kann aber auch sein, dass Zorn einmal notwendig ist, um zur Veränderung beizutragen.
I: Ich hab bei euch herausgehört, dass Zorn auch eine Energie sein kann, die man anders umsetzen kann.
M: Zorn ist zwar ein strenges Wort, aber ich glaub, dass Zorn nicht unbedingt etwas Schlechtes ist.
I: Glaubt ihr, dass das Zufall ist, dass Ihr, dass Du als Mann Zorn gewählt hast und Ihr als Frauen eher von Trauer redet? Hat das was mit männlich und weiblich zu tun?
W: Möglich.
W: Ich glaube schon.
W: Wirklich?
W: Ich glaub nicht, dass wer von uns Frauen von Zorn gesprochen hätte.
W: Doch. Ich hätte das auch gesagt.
M: Ich glaube, dass viele Frauen mehr darüber nachdenken, um eine Situation zu lösen als Burschen. Männer, die wollen das mit aller Gewalt lösen, strikter.
I: Bei allen diesen Gefühlen geht es letztlich weniger darum, ob sie gut oder schlecht sind, sondern welche Möglichkeit wir haben damit umzugehen? Was tu ich, wenn ich nicht mehr weiter weiß, verzweifelt bin, an einem Punkt anstehe?
W: Ich glaube, es geht ja alles irgendwann vorbei. Verzweiflung ist ja auch nicht lang. Das ist auch nicht ein Gefühl, das lange anhält. Hoffnung, dass man die Hoffnung nicht verliert, das ist die Lösung für alles. Ja.
I: Und die Strategie dazu? Also von der Verzweiflung zur Hoffnung. Wie kommt man dahin?
M: Wenn man sieht, dass etwas besser geworden ist.
M: Einzelne Geschichten sehen, die sich geändert haben. Nicht immer nur das Große sehen, sondern auch die kleinen Schritte.
W: Ich glaube, wenn man so richtig verzweifelt ist, dann ist es oft auch notwendig, dass einem jemand hilft, dass man wieder rauskommt. Jemand, der einem dann so etwas aufzeigt, woran man etwas Positives finden kann.
Unverständnis
I: Ich möchte nun noch auf den Begriff „Unverständnis“ eingehen. Was verbindet ihr damit?
W: Das ist so: Wenn ich einen Krieg von außen sehe, also von der Sicht unserer Kultur aus, dann geht’s mir häufig so, dass ich so viele Sachen nicht verstehe, warum die das machen. Sachen, die für mich klar sind, wo ich weiß, wie das alles weitergeht und was das auslöst. Das verstehe ich dann einfach nicht.
M: Was für mich das größte Unverständnis auslöst, ist, dass mittlerweile die Meinung vorherrscht, dass Leute, die versuchen, in einen Dialog zu treten, als naiv dargestellt werden. Dass der Krieg als einzige Alternative angesehen wird. Soll ich da ein Beispiel dazu sagen?
I: Gerne.
M: Zum Beispiel hat man den Barack Obama als naiv abgestempelt, weil er beabsichtigt, mit Ahmedinedschad zu reden. Viele Leute glauben einfach, dass man mit dem nicht reden kann. Aber wenn man es nicht versucht, wie soll man es dann wissen? Also ich glaube, dass eher die Leute, die so was behaupten, naiv sind.
W: Für mich gibt es aber auch das Unverständnis gegen das eigene, gegen die eigene Kultur. Grad wenn man anders sein will, wenn man probiert, hier etwas zu verändern, gibt es auch viel Unverständnis. Es gibt viele Leute, die einen da nicht verstehen, weil die denken, uns geht’s gut hier. Was geht uns die Welt an?
I: Kann man Krieg eigentlich verstehen? Gibt es Situationen, in denen ihr sagt, „Ich lehne das zwar ab, aber verstehen tu ich Krieg schon“? Oder habt ihr das Gefühl, das ist ganz etwas Irrationales, da gibt es nichts zu verstehen?
W: Ich glaub, wenn man es selber erlebt hat, dann ist es für einen mehr verständlich, als wenn man es nicht erlebt hat.
W: Es gab aber auch bei uns Kriege. Es ist uns nur nicht bewusst. Wir haben das hier auch schon alles gehabt.
M: Ein Freund von mir, der kommt aus Serbien, der hat mir ein wenig über seine Kriegserfahrungen erzählt und da muss ich schon sagen: Ich bin kein Kriegsbefürworter aber in diesem Fall wäre ich schon dafür gewesen, dass die UNO früher eingeschritten wäre. Oder in Ruanda, dass da viel schneller militärisch eingegriffen hätte werden müssen.
I: Bringt es eigentlich etwas, wenn man versteht oder spielt sich das eigentlich nur im Kopf ab? Kann man was praktisch lösen, indem man Krieg versteht, Strukturen analysiert?
W: Das Gefühl der Hilflosigkeit bleibt auch wenn man was versteht..
W: Man löst aber zumindest das Unverständnis – oder?
W: Es ist vielleicht ein kleiner Schritt zur Lösung, wenn man etwas versteht, weil man was dagegen machen kann, wenn man was versteht.
Faszination
I: Ein Gefühl habt Ihr nicht angesprochen, das für viele aber sehr wichtig ist: Ein deutscher Soldat, der in Afghanistan gekämpft hat, hat in einem Interview nach seiner Heimkehr davon gesprochen, dass diese Zeit die Spannendste und Faszinierendste seines Lebens war. Was ist am Krieg eigentlich spannend und faszinierend? Könnt ihr euch das vorstellen?
W: Ich kann das schon irgendwie nachvollziehen, dass junge Burschen, die vielleicht auch noch nicht so viel gereist sind und dann plötzlich gleich nach Afghanistan – zusammen mit anderen. Das kann sicher spannend sein.
W: Vielleicht können die andere Gefühle einfach abschalten und nur handeln – nicht darüber nachdenken, was sie jetzt gemacht haben.
W: Ich glaub auch, solang nichts passiert, ist es in so einer Armee vielleicht ganz lustig. Aber wenn man dann im Einsatz ist… Ich glaube, für viele ist das eher ein Abenteuerurlaub. Vielen fehlt vielleicht das Verständnis, was da eigentlich los ist.
M: Viele schätzen das gar nicht so ein, dass Krieg so etwas Furchtbares ist. Die spielen Computerspiele oder schauen sich Filme an. Die wissen aber nicht, wie das wirklich ist. Die sehen da nicht die Toten, die Verletzten, die Leute, die davon betroffen sind.
W: Die sehen vielmehr die Helden. Es ist bei uns immer noch so, dass die, die z. B. aus Afghanistan zurückkommen, zum Teil schon als Helden gesehen werden. Zumindest in den USA sieht man das ja.
M: Aber das brauchen die auch. In den USA stehen die Medien ja ganz anders zum Militär. Die Werbung zielt dahin, dass das Militär ein Freizeitcamp ist. Und dass du tot nach Hause kommst, wenn du in den Irak fährst oder nach Afghanistan, das sieht man ja nicht.
I: Kann das auch sinngebend sein? Dass jemand, dem das Leben nicht viel Positives bietet, dadurch erfährt, etwas Sinnvolles, Wichtiges, Wesentliches zu tun? Kann das etwas Faszinierendes sein?
W: Das finde ich eigentlich nicht. Kein Mensch muss Krieg sehen oder miterleben.
I: Ihr habt zwei Dinge angesprochen: Die Faszination hier, beim Computerspiel, beim Kriegsfilm und ähnlichem und die Faszination dort. Das heißt, auch Menschen, die im Krieg waren, finden es faszinierend, obwohl sie Menschen sterben und viel Leid gesehen haben, finden sie es trotzdem faszinierend. Was kann diese Menschen an dieser Erfahrung faszinieren?
M: Der Rausch.
I: Der Rausch, die Ekstase?
W: Ja, das was man hier oft gar nicht erfährt. Dieses Ekstatische, Besondere.
W: Faszinierend ist sicher auch die Macht, mit der man spielen kann. Die haben so viel Macht, wenn sie ihr Maschinengewehr in der Hand haben.
I: Macht, die man im Privaten oft überhaupt nicht erfährt. Plötzlich hat man dann große Macht.
M: Das muss dann auch irgendwie ein Art Rausch sein, wenn man übermächtig ist.
I: Was für ein Gefühl kann noch faszinierend sein im Krieg.
W: Vielleicht die Gemeinschaft?
I: Die gemeinsame Gefahr verbindet. Wir kennen das auch bei uns. Männer, die zum Beispiel den zweiten Weltkrieg mitgemacht haben, reden heute noch mit ihren Kriegskameraden über den Krieg, weil sie was verbindet. Die Erfahrung gemeinsamer Gefahr ist ganz was Wichtiges und Faszinierendes.
I: Könnt ihr, ganz ehrlich, von euch sagen, dass, wenn ihr Filme seht, wenn ihr Fernsehnachrichten seht, wenn ihr Spiele spielt, die mit Krieg zu tun haben, ihr nicht auch so etwas wie Faszination erlebt?
W: Nein, überhaupt nicht.
I: Gar nicht?
W: Gar nicht.
W: Ne.
W: Nein.
W: Ne, find ich auch nicht.
M: Das weiß ich jetzt nicht. Das kann ich nicht sagen. Wenn ein Kriegsfilm, sagen wir mal, die schrecklichen Seiten des Krieges wirklich deutlich zeigt, wenn er beide Seiten gut darstellt, dann muss ich sagen, find ich einige Filme ganz gut, dann hat das schon was Ansprechendes für mich. Aber wenn es darum geht, einfach nur ein plumpes Heldenbild darzustellen, wenn er Propaganda für eine Seite macht, dann find ich das schrecklich.
I: Gibt es dazu ein Beispiel?
M: Black Hawk Down
I: Als etwas Faszinierendes?
M: Nein, nicht was Faszinierendes. Gar nicht, das ist für mich das Schlimmste. Faszinierendes…ich weiß nicht… Killing fields. Das hab ich sehr erschreckend gefunden.. und auch faszinierend.
I: Vielen Dank für das Gespräch.
Legende:
I: InterviewerIn
M: Männlich
W: Weiblich