Gewaltfreier Widerstand

Am Beispiel: Madagaskars Übergang zur Demokratie


Von 19,5 Millionen Menschen bewohnt ist Madagaskar – die im südlichen Afrika im indischen Ozean gelegene viertgrößte Insel der Welt – eher bekannt für seine Pflanzen- und Tiervielfalt denn als Ort politischer Auseinandersetzungen. In den Jahren 1991 bis 1992 jedoch kämpfte das madagaßische Volk gegen das Regime von Präsident Ratsiraka.

Didier Ratsiraka wurde 1975 vom Militär zum Präsidenten ernannt und führte ein sozialistisches Regime nach nordkoreanischem Vorbild ein. Ratsirakas totalitäre Herrschaft sollte 16 Jahre dauern. In dieser Zeit verfiel Madagaskar zu einem der ärmsten Länder der Welt. Das politische Leben war geprägt von Korruption und Bereicherung der Eliten.

In der 1980er Jahren wurde die Unzufriedenheit des Volkes immer größer. Vor allem die Kirchen reagierten auf die dramatische Situation des Volkes und kritisierten zunehmend die ungerechten Verhältnisse.

Die gewaltfreie „Rosenkranzrevolution“ auf den Philippinen 1986 und vor allem die ebenso gewaltfrei ablaufende „Wende“ in Osteuropa 1989, bei denen die dortigen Diktaturen gestürzt werden konnten, gaben Motivation diesen Weg zu versuchen.

In nationalen Kongressen des ökumenischen Rates der christlichen Kirchen fand eine Abstimmung über die Zukunft des Landes statt. Der Nationale Rat der so genannten „Forces Vives“ – also der geeinten Widerstandskräfte des Landes – wurde eingesetzt. Der Präsident reagierte auf die Forderungen der Opposition nach einer neuen Verfassung nicht.

Somit begannen im Mai 1991 Massendemonstrationen im ganzen Land. Diese werden begleitet von einer Streikbewegung aller öffentlichen Einrichtungen wie Post, Bahn, Schulen, Verwaltung und Banken. In den folgenden sechs Monaten war das Leben auf der gesamten Insel lahmgelegt. Währenddessen gab es 2-mal wöchentlich stattfindende friedliche Demonstrationen in der Hauptstadt, an denen 100.000 bis 200.000 Menschen teilnahmen. Die „Forces Vives“ bildeten eine Gegenregierung unter Albert Zafy und mit Hilfe der Menge wurden die Ministerien ohne Gewaltanwendung besetzt. Daraufhin löste der Präsident die Regierung auf und kündigte Neuwahlen an.

Das Regime Ratsirakas sah sich mit einer völlig neuartigen, mächtigen Volksbewegung konfrontiert, die nicht nur von den Kirchen mitgetragen wurde, sondern auch von bekannten ehemaligen Heeresführern und Generälen der Gendarmerie. Unfähig diesem friedlichen Aufstand zu begegnen verschanzte der Präsident sich mit seiner Privatgarde in seinem Palast und verweigerte jeden Dialog.

Am 10. August 1991 fand ein Friedensmarsch von über einer halben Million Menschen zum Präsidentenpalast statt, um den Präsidenten zum Dialog zu bewegen. Am Palast angekommen, eröffnete die Garde das Feuer auf die wehrlose Menge. Offiziell gibt es 31 Tote, wahrscheinlich waren es weit mehr. Dieser Mord löste bei der Bevölkerung und auch in den internationalen Medien große Betroffenheit aus. Das Volk forderte von nun an die Absetzung des Präsidenten.

Im Oktober führten Verhandlungen aller Beteiligten mit dem Ziel einer friedlichen Lösung der Krise zur Bildung einer Übergangsregierung. Die neu ausgearbeitete Verfassung trat im September 1992 in Kraft. (vs)

Quellen

www.indexmundi.com/madagascar (abgerufen am 15.5.2018)

Hildegard Goss-Mayr: Wie Feinde Freunde werden: mein Leben mit Jean Goss für Gewaltlosigkeit, Gerechtigkeit und Versöhnung. Idstein: Meinhardt text und design, 1999.

Marie Aimé Joël Harison: Vier Jahrzehnte Unabhängigkeit Madagaskars. Frankfurt am Main u.a.: Lang, 2006.

Walter Schicho: Handbuch Afrika. Band 1. Frankfurt am Main: Brandes und Apsel; Wien: Südwind, 1999.

Pierre Vérin: Madagaskar. Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, 2004.