Ernährungssouveränität

Eine Milliarde Menschen leidet mittlerweile an Hunger, so der Welternährungsbericht der FAO aus dem Jahr 2009. Zugleich gibt es eine Milliarde Menschen, die übergewichtig sind. Die Ursachen für den Hunger sind mehrschichtig. Jean Ziegler, langjähriger Sonderberichterstatter der UNO für das Recht auf Nahrung, nannte in einem Vortrag 2008 in Salzburg sechs Gründe:

Der Würgegriff der Verschuldung verhindere die Modernisierung der Landwirtschaft in den Ländern des Südens – so sind nur 4 Prozent der Ackerfläche in Afrika bewässert – und zwinge zugleich zur für die einheimische Bevölkerung fatalen Exportwirtschaft. Mali, ein Land mit einer einst florierenden Landwirtschaft, müsse heute 72 Prozent der Lebensmittel einführen, zugleich würden jährlich 380.000 Tonnen Baumwolle exportiert, so ein augenscheinliches Beispiel. Als dritte Problematik nannte Ziegler das Agrardumping der reichen Staaten, etwa jenes der Europäischen Union, welches die Entwicklungsländer mit Billigstlebensmitteln überschwemme und damit die regionalen Märkte zerstöre. Andererseits – und viertens – gerieten immer mehr Menschen in die Abhängigkeit der internationalen Agrarmultis, für die Nahrung nicht mehr sei als ein Geschäft mit hohen Renditeerwartungen. Explodierende Lebensmittelpreise sind für die Ärmsten tödlich, so Ziegler.

Spekulation mit Lebensmitteln

Sie hängen eng zusammen mit den zwei letzten im Vortrag genannten Ursachen für Hunger: der Spekulation mit Lebensmittel an den Börsen: Hedgefonds und andere Anleger sind aufgrund der
232 - zieglerFinanzkrise auf die Chicagoer Lebensmittelbörse ausgewichen; der Spekulationsanteil an den Lebensmittelpreisen soll laut einer aktuellen von Ziegler zitierten Studie 37 Prozent ausmachen; und der Ausweitung des Geschäfts mit Agrosprit. 138 Mio. t Mais wurden laut Weltbank 2007 zu Bioethanol verbrannt. Für 50 Liter Biodiesel sind 358 kg Mais erforderlich, davon könnte ein Kind ein Jahr lang ernährt werden, so Zahlen des Vortragenden. Wie scheinheilig internationale Proklamationen zur Überwindung des Hungers, festgeschrieben etwa in den UN-Millenniumszielen, sind, machte Ziegler schließlich mit folgendem Vergleich deutlich: „81 Mia. Euro pro Jahr über fünf Jahre gerechnet wären nötig, um den Hunger zu eliminieren. Wenig im Verhältnis zu den 1.700 Mrd. Euro, die allein die EU innerhalb kürzester Zeit zur Rettung der Banken zur Verfügung gestellt hat.“

Naturangepaßte Anbaumethoden

Mit der Natur angepassten Anbaumethoden können landwirtschaftliche Erträge auf Dauer gesichert werden – dies, ohne dass die Bauern teures Saatgut oder Düngermittel am Weltmarkt kaufen müssen. Ob gemeinschaftlich gezüchtetes Saatgut, Terrassenkulturen, die der Erosion entgegenwirken, Mischkulturen, in denen sich unterschiedliche Pflanzen ergänzen oder sogar integrierte Systeme, in denen etwa Reisanbau in Wasserkulturen kombiniert wird mit Fisch- und Entenzucht – all das sind Beispiele, wie naturnahe Landwirtschaft funktionieren kann. Beschrieben werden sie etwa in einer Publikation der internationalen Entwicklungsorganisation „Bread for the World“ (HungerReport 2004).

Engagement für das Recht auf Nahrung

Was können wir als Einzelne gegen den Hunger in der Welt tun? Das Erste ist wohl, Bescheid zu wissen über die Unmenschlichkeit der Unterernährung und mangelnden Nahrungsmittelversorgung in der Welt. Und Empathie und Solidarität zu entwickeln, damit ein entsprechendes Bewusstsein entsteht: Wir Menschen auf der Erde leben in Einer Welt. Das zweite ist, Initiativen zu unterstützen, die sich für Ernährungsgerechtigkeit einsetzen. Ein Beispiel ist FIAN.
Eine Handvoll Menschen gründete im Jahr 1986 FIAN, das Food First Informations- und Aktions-Netzwerk, um für die Verwirklichung des Menschenrechts auf Nahrung zu kämpfen. Mittlerweile hat FIAN Mitglieder in über 60 Ländern auf allen fünf Kontinenten. In 18 Ländern bestehen nationale Vertretungen. Weltweit unterstützt FIAN Opfer von Verletzungen des Rechts auf Nahrung bei der Verteidigung ihrer Rechte. Bei den Vereinten Nationen hat FIAN Beraterstatus.

(hh)

Links und Lesetipps

Food First Informations- und Aktionsnetzwerk: www.fian.de

Jean Ziegler: Wie kommt der Hunger in die Welt? Ein Gespräch mit meinem Sohn. München, Bertelsmann, 2002.

Jean Ziegler. Der Hass auf den Westen. Wie sich die armen Völker gegen den wirtschaftlichen Weltkrieg wehren. München, Bertelsmann 2009.

Gesichter des Hungers. HungerReport 2004. Frankfurt: Brandes & Apsel, 2004.

www.brot-fuer-die-welt.de

Quellen

Jean Ziegler: Das tägliche Massaker des Hungers. Wo ist Hoffnung?“ Festrede anlässlich der Verleihung des Salzburger Landespreises für Zukunftsforschung. CD-ROM.

http://www.jungk-bibliothek.at/ziegler.htm#bericht

Gesichter des Hungers. HungerReport 2004. Frankfurt: Brandes & Apsel, 2004