Wirtschaftliche Perspektiven

Neben Krediten, Exporteinnahmen und Entwicklungshilfe sind die Direktinvestitionen zu einer immer wichtigeren Finanzierungsquelle für Entwicklungsländer geworden. Dahinter verbergen sich vor allem Unternehmensfusionen, Unternehmensbeteiligungen, Firmenkäufe und Kapitalstransfers zur Gründung von Firmen.

Mittlerweile werden sogar ganze Landstriche von externen Investoren „gepachtet“, um darauf Lebensmittel für die eigene Bevölkerung anzubauen. China verfolgt beispielsweise diese Strategie in Afrika. Von den weltweit rund 700 Milliarden Dollar für ausländische Direktinvestitionen fließt etwa ein Drittel in die Entwicklungsländer, hier jedoch vor allem in die Schwellenländer, wo sich Investitionen genügend „lohnen“. Direktinvestitionen können den Empfängerländern zwar wirtschaftliche Impulse verleihen – man spricht von „trickle down“-Effekten, häufig bleiben diese aber auf kleine Bevölkerungsgruppen begrenzt. Viele Direktinvestitionen verbleiben konzernintern im eigenen multinationalen Unternehmen. Und die Zunahme von spekulativem Kapital auch in Entwicklungsländern erhöht deren Krisengefährdung einmal mehr.

Fehlerquelle „Freier Markt“

Viele gehen daher davon aus, dass der „freie Markt“ zu Fehlentwicklungen führt, da eben Kapital vorwiegend dort investiert wird, wo die größten Gewinne zu erwarten sind, und nicht dort, wo der größte Bedarf an Investitionen besteht. Kurz gesagt: Die Kaufkraft bestimmt, wo investiert wird. Der Friedensforscher Johan Galtung spricht daher von „Überproduktion“ im reichen und von „Unterproduktion“ im armen Teil der Welt. Jeder Dummkopf könne ein ökonomisches System errichten, in dem reiche Menschen teure Produkte kaufen. Was Talent erfordere, sei aber „die Errichtung einer Wirtschaft, die die grundlegenden somatischen Bedürfnisse eines jeden zu befriedigen imstande ist“, so der Begründer der Theorie der „strukturellen Gewalt“.

Richard Gerster – er ist u. a. Berater der Schweizer Regierung, aber auch multinationaler Organisationen wie der Weltbank, macht ebenfalls deutlich, dass die gegenwärtige Entwicklung der Weltwirtschaft dem Anspruch, Globalisierung und Gerechtigkeit zu verbinden, leider keineswegs erfüllt. Ein Beispiel: Während der Anteil der multinationalen Konzerne an der weltweiten Wertschöpfung zwischen 20 – 35 Prozent beträgt, fällt die Bilanz hinsichtlich Arbeitsplätzen bedeutend schlechter aus. Weltweit bieten die Multis 86 Millionen Arbeitsplätze an, 19 Millionen davon befinden sich in Entwicklungsländern. „Das garantiert nur ein bis zwei Prozent aller Arbeitskräfte des Südens eine Beschäftigung“, rechnete Gerster vor. Die gesellschaftliche Bedeutung der weltweit tätigen Großkonzerne wird nach dem Entwicklungsexperten daher maßlos überschätzt. Ein Drittel des Welthandels seien rein konzerninterne Transaktionen; vier Fünftel der internationalen Investitionen Übernahmen bereits bestehender Firmen. Für den breiten Volkswohlstand sei jedoch entscheidend, wie viele Arbeitsplätze geschaffen werden. Das Rückgrat der Volkswirtschaften sind für den Gerster „die kleinen und mittleren Unternehmen, in Entwicklungsländern oft auch die Landwirtschaft und der informelle Sektor.“

Wo sieht der Experte Auswege? Gerster verneint nicht den Prozess der weiteren Globalisierung und Ausweitung weltwirtschaftlicher Beziehungen, fordert jedoch bedeutend mehr politische Gestaltung. Es sei das „Kerngeschäft“ multilateraler Organisationen wie der UNO, WTO (World Trade Organisation) oder des IWF (Internationaler Währungsfond) , Spielregeln der Chancengleichheit zu formulieren und durchzusetzen. Der Globalisierung der Wirtschaft müsse eine Globalisierung der Politik folgen.

Überweisungen von GastarbeiterInnen

Immer wichtiger werden die Überweisungen im Ausland lebender GastarbeiterInnen. Mittlerweile schicken ArbeitsmigrantInnen genauso viel Geld in ihre Heimat, wie ausländische UnternehmerInnen dort investieren, so die Autoren von „Tatort Eine Welt“. Doch es gibt einen Unterschied: Die ausländischen Direktinvestitionen kommen vor allem einigen Schwellenländern zugute, während die meisten armen Länder fast leer ausgehen. Heimatüberweisungen sind dagegen gerade für viele besonders arme Länder eine wichtige Geldquelle – „oft wichtiger als Entwicklungshilfe und Direktinvestitionen zusammen.“ Was von jugoslawischen oder türkischen GastarbeiterInnen in Österreich oder Deutschland seit den 1970er-Jahren bekannt ist – ein wesentlicher Teil des im reichen Westeuropa erwirtschafteten Einkommens wurde ins Heimatland geschickt, gilt natürlich auch weltweit. So machen die „Gastarbeiterüberweisungen“ in vielen Empfängerländern mehrere Prozent des Bruttosozialprodukts aus. Wichtige Länder mit hohen Rücküberweisungen von Ausgewanderten sind etwa Indonesien, Indien, aber auch Mexiko und China. Eine Öffnung der Arbeitsmärkte für ImmigrantInnen würde somit auch zu etwas mehr Weltgerechtigkeit beitragen.

Märkte für den Eigenbedarf aufbauen

Der Friedensforscher Dieter Senghaas erinnert an das Entwicklungsmodell des österreichischen Ökonomen Friedrich List (1789-1846), der aufgezeigt hat, wie nachholende Entwicklung auf der Basis einer die Ernährung sichernden Landwirtschaft und Gebrauchsgüter des täglichen Bedarfs herstellenden Kleinindustrie gelingen kann, ohne sich auf die internationale Schuldendynamik sowie eine problematische internationale Arbeitsteilung einzulassen. Das heißt, jedes Land solle zunächst eine starke, die Selbstversorgung der Bevölkerung sichernde Landwirtschaft aufbauen, und in der Folge Produktionsbetriebe, die Gebrauchsgüter für den regionalen Markt produzieren. Denn in der internationalen Arbeitsteilung würden immer die Stärkeren gewinnen, Weltmarktintegration mache daher nur bedingt und sehr begrenzt Sinn.

Solidarische Ökonomien

Als Reaktion auf starke Wirtschaftskrisen in Folge von Verschuldungsturbulenzen entwickelten sich in Ländern wie Argentinien, Brasilien oder Venezuela Modelle solidarischer Ökonomie. Bankrott gegangene Betriebe wurden von ArbeiterInnen in Selbstverwaltung übernommen, Produktionsnetzwerke zu gemeinsamen Wirtschaftseinheiten zusammengefasst. Auch zahlreiche alternative, lokale Währungssysteme entstanden im Gefolge des Wertverlusts der offiziellen Währung. Noch sind die Exprimente einer solidarischen Ökonomie, in der sich die Menschen einer Region in Betriebsverbünden das zum Leben Notwendige selber herstellen, jung und bedürfen noch der Bewährung in der Praxis. Sie könnten jedoch eine Alternative zur kapitalistischen Produktionsweise werden, in der in der Regel einige wenige immer reicher werden. Die Bewegungen eines „Volkssozialismus“, die in mehreren lateinamerikanischen Ländern wie Brasilien, Peru oder Venezuela die Regierungsmacht eroberten, sind ebenfalls als Reaktion auf die Krisenerfahrungen mit dem neoliberalen Wirtschaftsmodell zu sehen. Versprochen werden die Bekämpfung der Armut, die Verteilung von Land an Landlose, Grundstücksreformen, nicht zuletzt die Beteiligung der Bevölkerung an der Ausbeutung der nationalen Rohstoffvorkommen. Doch auch diese Links-Regierungen müssen ihre Bewährungsproben erst bestehen.

Anderes Wirtschaften auch bei uns

Beispiele für solidarisches Wirtschaften gibt es auch in den Wohlstandsländern, weil Menschen unzufrieden sind mit dem allein auf Konkurrenz fixierten Wirtschaftssystem. Zu nennen sind etwa Tauschkreise, in denen Menschen bargeldfrei Leistungen tauschen, Zeitgutschriftsysteme, in denen Leistungen über den Stundenaufwand vergütet werden, oder regionale Währungen, die lokale Wirtschaftskreisläufe anregen. In Sozialmärkten können Menschen mit niedrigem Einkommen Lebensmittel (und andere Waren) günstig erstehen – Lebensmittel, deren Ablaufdatum naht, werden so vor der „Entsorgung“ bewahrt. In Second-Hand-Geschäften können gebrauchte Waren kostengünstig gekauft werden. In so genannten „Kost-Nix-Läden“ gibt es diese sogar umsonst. Das Ziel ist bei beiden, noch funktionstaugliche Güter länger in Gebrauch zu halten, was ökologisch und sozial Sinn macht. In Gemeinschaftsgärten werden gemeinsam Gemüse und Früchte angebaut. Alternatives Reisen wird etwa über SERVAS, eine internationale Organisation für Gastfreundschaft, ermöglicht. Und die Travelling School of Life ist ein weltweites Netzwerk von Leuten, die ihr Wissen und ihre Ressourcen teilen möchten.

Mikrokredite

Die international vergebenen Kredite gehen meist an Regierungen – häufig für problematische Großprojekte. Wie gezeigt wurde, haben diese Gelder oft zweifelhafte Wirkung. An Großprojekten verdienen nur wenige, die politischen Eliten der Empfängerländer und die Unternehmen der Geberländer. Überdies führt – wie auch gezeigt wurde – das internationale Kreditwesen in die Verschuldungsfalle (siehe Kapitel Entschuldung). Der Ökonom Muhammad Yunus aus Bangladesh hat daher ein Finanzierungsinstrument ins Leben gerufen, das den einfachen Menschen zu Gute kommt – Kleinkredite. Diese werden an kleine Gruppen von Menschen, vornehmlich an Frauen, vergeben mit dem Ziel, dass sich diese eigenständig Erwerbsfelder aufbauen können – sei es in Form landwirtschaftlicher Betriebe, im Bereich des Handwerks oder durch Kleinläden. Mikrokredite werden zu günstigen Zinsen vergeben, jedoch mit der Auflage, dass sie innerhalb der Vertragszeit zurückgezahlt werden. Personen, die von etablierten Banken nie als „kreditwürdig“ eingestuft würden, erhalten so eine Anschubfinanzierung.
Das Modell der Mikrokredite wird mittlerweile in vielen Ländern angewendet und auch von der Weltbank propagiert. Es findet sogar Nachahmung in den Wohlstandsländern, in denen in Krisen geratenen Menschen durch Kleinkredite neue Startchancen geboten werden. Das Kredite vor allem an Frauen vergeben werden, hängt mit der Erfahrung zusammen, dass diese offensichtlich sorgsamer mit den erhaltenen Mitteln umgehen.

„Needs“ und „Wants“ – Wissen teilen

Der Ökonom Herman Daly unterscheidet zwischen „needs“ und „wants“, also Grundbedürfnissen und Wünschen. Hauptziel einer „Weltwirtschaft“ müsse sein, zuerst die „needs“ aller zu befriedigen und dann erst die „wants“. Welthandel und globale Kooperation sind für Daly nicht grundsätzlich problematisch. Ökologisch und sozial kontraproduktiv sei der weltweite Handeln von Gütern, die sinnvoller Weise vor Ort hergestellt werden sollen. Weltweit zur Verfügung gestellt und ausgetauscht werden sollte aber das vorhandene Wissen und Know how. Dies wäre für den Ökonomen die effektivste Form von Entwicklungszusammenarbeit. Frei verfügbares und gemeinschaftlich geteiltes Wissen wird etwa von den Open Source-Bewegungen angepeilt, ein bekanntes Beispiel ist Wikipedia, eine Art Internetlexikon, das durch die Beiträge aller wächst. Ein großes Potenzial läge etwa darin, dass man Technologien und Know how für die Nutzung erneuerbarer Energie Entwicklungsländern kostenlos zur Verfügung stellt. Noch scheitert diese Ideen freilich daran, dass auch Wissen als Ware gehandelt wird und etwa mit Patenten viel Geld verdient werden kann.

(hh)

Links und Lesetipps

www.solidarische-oekonmie.de

www.oikocredit.org

http://de.wikipedia.org/wiki/Mikrokredit

www.regiogeld.de

www.timesozial.at

www.zeitbanken.net

www.regionales-wirtschaften.de

www.umsonstladen.at

www.servas.org

www.wiki.tsolife.org

www.wikipedia.org

Quellen

Atlas der Globalisierung. Ausgabe 2006. Hrsg. v Le Monde Diplomatique. Paris/Berlin.

Herman Daly: Wachstum und Globalisierung in einer vollen Welt. In: Natur und Kultur, Bad Mitterndorf, 2/2001.

Johan Galtung, Johan, In: Neoliberalismus – Militarismus – Rechtsextremismus. Die Gewalt des Zusammenhangs. Wien: Promedia, 2001.

Sven Giegold u.a. (Hg.): Solidarische Ökonomie im globalisierten Kapitalismus. Hamburg: VSA-Verl., 2008.

Richard Gerster: Globalisierung und Gerechtigkeit. Bern: Haupt, 2001.

Karl-Albrecht Immel, Klaus Tränkle: Tatort Eine Welt. Wuppertal: Peter Hammer-Verl., 2007.

Dieter Senghaas: Wege aus der Armut. Entwicklungsgeschichtliche und aktuelle Lehren. In: Globale Armutsbekämpfung – ein trojanisches Pferd? Auswege aus der Armutsspirale oder westliche Kriegsstrategien? Hrsg. v. Österreichischen Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung. Wien u. a., LIT-Verlag, 2008, S. 25 – 46.

Muhammad Yunus: Die Armut besiegen. München: Hanser, 2008.