Eskalationsstufen

Der Friedensforscher Friedrich Glasl hat ein Modell entwickelt, das die Dynamik von Konflikteskalation verstehbar macht. Der Eskalationsprozess, also die allmähliche Steigerung und Verschärfung, verläuft in 9 Stufen als Abwärtsbewegung. Vergleichbar ist die Eskalation von Konflikten mit einer Bewegung über Stromschnellen, die zu zunehmenden Turbulenzen führt und sich weitestgehend einer Steuerung durch die Konfliktparteien entzieht. Das Modell ist für jede Art von Konflikten anwendbar.

Das Modell: 9 Stufen der Konflikteskalation

 Ebene Win-Win

In dieser Eben können beide Konfliktparteien gewinnen.

1. Verhärtung

In der Auseinandersetzung verhärten sich die Standpunkte und prallen aufeinander. Es entwickeln sich Vorbehalte und die Realität wird gefiltert, d. h. jede Seite blendet Dinge aus und selektiert. Die Beteiligten schwanken zwischen Kooperation und Konkurrenz hin und her. Es kommt zu Ausrutschern und Korrekturen. Das Bewusstsein über die Spannung führt zur Verkrampfung.

2. Debatte, Polemik

Es kommt zu einer Polarisierung von Denken, Fühlen und Wollen. Schwarz-Weiß-Denken und eine Sichtweise von Über- und Unterlegenheit sowie verbale Gewalt sind Merkmale dieser Stufe der Eskalation.

3. Taten statt Worte

Die Überzeugung ist: Reden hilft nichts mehr. Die Beteiligten deuten ihre Taten falsch und beschleunigen den Konflikt. Empathie für andere geht verloren. Es entsteht ein starkes Wir-Gefühl und Meinungsdruck.

Ebene Win-Lose

In der Win-Lose-Ebene gibt es meist eine Partei, die gewinnt und eine, die verliert.

4. Images und Koalitionen

Stereotype Images, Klischees und Images werden aufgebaut. Parteien manövrieren sich in negative Rollen und bekämpfen sich. Fixierung auf Feindbilder und Werben um AnhängerInnen setzt ein. Verdecktes sticheln, reizen und ärgern.

5. Gesichtsverlust

Öffentliche und direkte persönliche Angriffe, die auf den Gesichtsverlust der GegnerInnen zielen. Ein Engel-Teufel-Schemata findet Anwendung. Kampf um Ideologie, Werte und Prinzipien. Rehabilitierung wird angestrebt.

6. Drohstrategien

Das Geschehen wird von Drohungen und Gegendrohungen beherrscht. Die Parteien manövrieren sich in einen Handlungszwang und verlieren zunehmend die Initiative. Ultimaten und Gegenultimaten beschleunigen die Konflikteskalation.

Ebene Lose-Lose

In dieser dritten Ebene verlieren beide Parteien.

7. Begrenzte Vernichtungsschläge

Denken bewegt sich nur noch in Ding-Kategorien. Der/Die GegnerIn wird nicht mehr als Mensch gesehen. Begrenzte Zerstörung ist die passende Antwort. Es kommt zu einer Umkehr von Werten und Tugenden: Schaden wird als Gewinn betrachtet.

8. Zersplitterung

Alles ist auf den Zusammenbruch des Feindes ausgerichtet. Systemfaktoren des Feindes werden zerstört. Das System wird unsteuerbar. Abschnüren der FrontkämpferInnen von ihrem Hinterland mit dem Ziel gänzlicher Zerstörung.

9. Gemeinsam in den Abgrund

Es gibt keinen Weg zurück. Die totale Konfrontation zur Vernichtung des Feindes nimmt sogar eine Selbstvernichtung in Kauf. Bereitschaft, die Umgebung und Nachkommen nachhaltig zu schädigen.

Zum Beispiel: Der Vietnamkrieg

Verhärtung: Seit dem 19. Jahrhundert stand Vietnam unter französischer Kolonialherrschaft. 1940 wurde es zusätzlich von den Japanern besetzt, die es gemeinsam mit den Franzosen rücksichtslos ausbeuteten. Viele Vietnamesen starben bei der Hungersnot 1944/45. Die Viet Minh unter Hồ Chí Minh wuchsen zur bedeutendsten politischen Organisation innerhalb der Bevölkerung heran und betonten den nationalen Konsens. Nach Vertreibung der Franzosen durch die Japaner im Frühjahr 1945 und der Kapitulation Japans im Sommer 1945 proklamierten die Viet Minh die Unabhängigkeit der Demokratischen Republik Vietnam. Nachdem Frankreich sein Protektorat in Vietnam verloren hatte, übernahmen die USA die Rolle der Schutzmacht. Dies nicht zuletzt, weil sie die Ausbreitung des Kommunismus verhindern wollten. Südvietnam wurde vorerst aber nur mit Waffen und technischem Know-how versorgt.

Polarisation und Debatte: Mit der zunehmenden Bedrohung durch den Vietcong, den südvietnamesischen Kommunisten, sahen sich die USA gezwungen, sich auch aktiv am Konflikt zu beteiligen.

Taten statt Worte: Im August 1964 traten die USA nun auch offiziell in den Krieg ein. In den folgenden vier Jahren versuchten die Amerikaner, den Vietcong zu zerstören und Nordvietnam in die Knie zu zwingen. Die Amerikaner fühlten sich als Herren der Lage und wurden anfangs 1968 von der Tet-Offensive überrascht. Diese leitete die Wende im Krieg ein.

Sorge um Image und Koalition/Gesichtsverlust: Die Amerikaner intensivierten zwar ihre Bombardements, es erfolgte jedoch ein öffentlicher Meinungsumschwung. Es begann sich eine Friedensbewegung zu formieren. In den USA setzte sich zudem die Meinung durch, dass der Vietnamkrieg nicht zu gewinnen sei.

Drohstrategien/Begrenzte Vernichtungsschläge/Zersplitterung: Die USA nahmen im Frühling 1968 mit dem verhassten Gegner erste Friedensverhandlungen auf. Anfang 1973 konnte ein Abkommen unterzeichnet werden, das der südvietnamesische Präsident als Verrat ansah. Der komplette Abzug der amerikanischen Kriegsmaschinerie war die Folge des Abkommens. Die USA sicherten Südvietnam immer noch Hilfe zu, doch wusste jeder, dass das Todesurteil für Saigon gefallen war. 1975 erfolgte die Offensive Nordvietnams. Südvietnam wurde praktisch kampflos eingenommen. Was folgte, war die Flucht. Die Amerikaner holten die letzten US-Staatsangehörigen aus Südvietnam heraus, ebenso wie wenige Südvietnamesen.

Gemeinsam in den Abgrund: Die Amerikaner hatten zwar den Krieg verloren – sie konnten ihr System nicht durchsetzen und mussten mit Schimpf und Schande abziehen – trotzdem war es für Vietnam ein Pyrrhussieg. Die Zahlen der vietnamesischen Opfer (Nord- und Südvietnam gesamt) belief sich auf 1,5 Millionen Tote, fast 60 000 US-Soldaten verloren bei diesem Krieg ihr Leben, rund 700 000 hatten unter den psychischen und physischen Spätfolgen des Krieges zu leiden.

(red)

Links und Lesetipps

Berghof Foundation: Eskalation der Gewalt im internationalen Bereich (abgerufen am 12.02.2018)

Berghof Glossar: Konflikttransformation (abgerufen am 12.02.2018)

Gert Sommer, Albert Fuchs:. Krieg und Frieden. Handbuch der Konflikt- und Friedenspsychologie. Weinheim, Basel, Berlin: Beltz-Verlag, 2004.

Quellen

Duden. Das große Fremdwörterbuch (2000). 2. Auflage. Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich: Dudenverlag

Friedrich Glasl (2002): Konfliktmanagement. Ein Handbuch für Führungskräfte, Beraterinnen und Berater. 7. Auflage. Bern/Stuttgart: Verlag Freies Geistesleben/Verlag Paul Haupt, 233–309

Friedrich Glasl (2000): Selbsthilfe in Konflikten. Konzepte, Übungen und Praktische Methoden. Bern/Stuttgart: Verlag Freies Geistesleben/Verlag Paul Haupt, 92–116

Infos zu Friedrich Glasl: Trigon Entwicklungsberatung (abgerufen am 12.02.2018)

Der Vietnamkrieg auf Wikipedia, Bearbeitungsstand: 13.5. 2010, 03:37 UTC. (abgerufen am 12.02.2018)

Bildquelle: Wikipedia (abgerufen am 12.02.2018)