Gefangenschaft
Gefangenschaft bedeutet nicht nur durch Gitterstäbe von der Außenwelt abgeschnitten zu sein.Krieg bedeutet für viele Menschen Freiheitsverlust. Kinder können nicht mehr frei auf den Straßen und – aufgrund der Mienengefahr – noch weniger frei in der Natur spielen. Die Freiheit zu sagen und zu schreiben was man denkt, sich frei zu bewegen, Leute zu treffen und die Freiheit von Entscheidungen und Zukunftsträumen sind den Menschen in Kriegsgebieten großteils genommen. Das Zuhause, gut verbarrikadiert, bleibt eine Zuflucht, jedoch auch nicht sicher vor Bombenangriffen.
Die Gefangenschaft im herkömmlich verstandenen Sinn ist ein weit verbreitetes Kriegsmittel. Feindliche SoldatInnen und andere Menschen, die als Feinde gelten (z.B. MenschenrechtsaktivistInnen, JournalistInnen u. a.), werden meist unter schwierigsten Bedingungen gefangen gehalten. Gefangenschaft bedeutet meist große Angst, Schock und Ungewissheit. Da Gefangenschaft lebensbedrohlich sein kann und die gefangene Person beinahe keine Möglichkeit hat, Kontrolle über die Situation herzustellen, ist Gefangenschaft häufig ein traumatisches Erlebnis. Dazu kommt, dass Gefangenschaft sehr oft mit körperlicher und seelischer Gewalt einhergeht. Viele Kriegsgefangene werden grausam gefoltert und erniedrigt.
Entgegen dem internationalen Abkommen der Genfer Konvention, das sich ausdrücklich auf den Schutz von Kriegsgefangenen bezieht, werden weltweit unzählige Menschen zu Unrecht und unter unmenschlichen Bedingungen gefangen gehalten (siehe Berichte von Amnesty International: www.amnesty.org). Ein jüngstes Beispiel von menschenrechtswidrigen Gefangenschaften ist Guantánamo Bay, ein US Militärstützpunkt auf der Insel Kuba. Von den Gefangenen auf Guantánamo ist der Sprung hin zum Krieg im Irak nicht allzu weit, denn in Guantánamo hält das US-Militär viele Menschen aus dem Nahen Osten gefangen, die sie des „Terrorismus“ verdächtigen.
Am Beispiel: Giuliana Sgrena
Die italienische Journalistin und Friedensaktivistin Giuliana Sgrena wurde am 4. Februar 2005 im Irak entführt und einen Monat gefangen gehalten. Durch große politische und zivilgesellschaftliche Bemühungen – und nicht zuletzt den persönlichen Einsatz von Nicola Calipari, der dabei sein Leben verlor – wurde Giuliana Sgrena am 4. März 2005 befreit.
Giuliana Sgrena hat vom Irak aus ihr bekanntes „Tagebuch aus Bagdad“ geschrieben, das in der deutschen Zeitung Die Zeit veröffentlicht wurde. Am 9. Februar 2005, kurz nach der Entführung von Giuliana, schrieb Ulrich Ladurner in der Zeit:
„Manchmal tauchen aus den anonymen Nachrichten und Zahlenangeben über immer neue Gewalt und Tote im Irak einzelne Menschen auf. Zeineb, die Sechsjährige, die sich vor den amerikanischen Bombern unter dem Teppich verstecken wollte. Nidal Adi, die Lehrerin, die in den Tagen des Bombardements von Splittern verletzt wurde und verbittert sagte, sie habe mit dem Regime nichts zu tun, „warum bombardieren sie uns?“ Die zwei namenlosen irakischen Soldaten, die sich amerikanischen Truppen ergeben
wollten und dennoch erschossen wurden. Diesen Menschen hat die entführte Reporterin Giuliana Sgrena eine Stimme gegeben. Sie konnte das tun, weil sie in Bagdad geblieben ist, als die meisten ihrer Kollegen angesichts des unmittelbar bevorstehenden Angriffs der Amerikaner die Stadt verließen. Ihr „Tagebuch aus Bagdad“ hat Bilder des Irakkriegs in die deutschen Wohnzimmer getragen, wie sie die „embededd Journalists“ in der Begleitung der Koalitionstruppen nicht sehen, geschweige denn verbreiten konnten.“ (U. Ladurner, 2005a)
Giuliana Sgrena wurde am 4. Februar 2005 von Irakern entführt und gefangen gehalten. Über die Erfahrung der Gefangenschaft berichtet sie in einem Interview nach ihrer Befreiung: „Meine Erfahrung und auch die anderer Entführter ist, dass man am Anfang eben
vor allem verstehen muss, wer einen entführt hat. Ich habe mich sehr darauf konzentriert. Aber dann gab es Phasen der Panik, weil mir meine Entführer stets unmaskiert begegneten. Da habe ich gedacht: Die wollen mich bestimmt umbringen“ (G. di Lorenzo, 2005: 1).
Der Hintergrund der Entführung war die Beteiligung Italiens am Irakkrieg. Die Entführer forderten die Italienische Regierung auf, seine Truppen aus dem Irak abzuziehen und Lösegeld zu bezahlen.
Hunderttausende gingen auf die Straßen Italiens und forderten die Befreiung Giulianas. Sie gingen auf die Straßen für die Befreiung aller Entführter und – wie der Chefredakteur Loris Campetti von Il Manefesto, einer italienischen Zeitung für die Giuliana schreibt, es ausdrückte – „für die Befreiung des irakischen Volkes, das auch ein Gefangener dieses Krieges ist, der Besatzung und des Krieges“ (Campetti, 2005: 2).
Die Zivilgesellschaft Italiens und der Einsatz von Nicola Calipari waren es, die zur Befreiung Giulianas beigetragen haben. Sie waren mit dem Auto auf dem Weg zum Flugzeug, das sie in die Freiheit bringen sollte – Nicola Calipari und Giuliana Sgrena – als US-Soldaten das Fahrzeug beschossen. Nicola Calipari, der Giuliana zwei Mal das Leben rettete, starb. Giuliana erlitt schwere Verletzungen. Über die Gründe des Beschusses liegen widersprüchliche Aussagen vor (siehe Ladurner 2005b).
Giuliana Sgrena lebt heute wieder in Italien und engagiert sich persönlich und politisch für eine freie und friedliche demokratische Gesellschaft. Einer ihrer Schwerpunkte sind Frauenrechte. Sie setzt sich darüber hinaus für andere Entführte ein und kämpft für deren Befreiung.
Lesetipps und Links
L. Campetti (2005): „Es kommen harte Zeiten, übersetzt von Ulrich Ladurner“, in: Die Zeit, 08.03.2005, verfügbar unter http://www.zeit.de/2005/10/sgrena_manifesto
U. Ladurner (2005a): Distanziert und mitfühlend“, in: Die Zeit, 09.02.2005, verfügbar unterhttp://www.zeit.de/2005/06/giuliana_sgrena3
G. Sgrena (2006): Friendly Fire, als Geisel zwischen den Fronten, Berlin: Ullstein.
Amnesty International (Menschenrechtsorganisation, die sich stark für politische Gefangene einsetzt):http://www.amnesty.org/
Amnesty International – Österreich: http://www.amnesty.at/
Quellen
L. Campetti (2005): „Es kommen harte Zeiten, übersetzt von Ulrich Ladurner“, in: Die Zeit, 08.03.2005, verfügbar unter http://www.zeit.de/2005/10/sgrena_manifesto
U. Ladurner (2005a): Distanziert und mitfühlend“, in: Die Zeit, 09.02.2005, verfügbar unterhttp://www.zeit.de/2005/06/giuliana_sgrena3
U. Ladurner (2005b): „Frei – und dann die Tragödie“, in: Die Zeit, 05.03.2005, verfügbar unterhttp://www.zeit.de/2005/10/sgrena_gespraech
G. di Lorenzo (2005): „Leider ist es ein sinnloses Risiko“, in: Die Zeit, 01.12.2005, Nr.49, verfügbar unterhttp://www.zeit.de/2005/49/Sgrena_Interview (abgerufen am 20.07.2010)
M. Ruprecht (2005): „Zurück in Italien“, in: Die Zeit, 05.03.2005, verfügbar unterhttp://www.zeit.de/2005/10/sgrena_heimkehr
B. Schönau (2005): „Kein neues Zeichen“, in: Die Zeit, 23.02.2005, verfügbar unter
http://www.zeit.de/2005/08/sgrena_rom
(die Links wurden am 12.4.2018 abgerufen)