Wehrdienstverweiger*innen, Kriegsdienstverweigerer*innen, und Deserteur*innen

Kriegsdienstverweiger*innen, Wehrdienstverweiger*innen und Deserteur*innen sind Personen, die sich bewusst gegen den Kriegs- bzw. Militärdienst entschieden haben.

Wichtige Begriffe

Unter „Kriegsdienstverweigerung“ versteht man den Entschluss einer Person, sich nicht am Kriegsdienst (Militärdienst in einem Staat im Kriegszustand) zu beteiligen. Wird der Wehrdienst verweigert, spricht man von einer sog. „Wehrdienstverweigerung“. Wird auch der Wehrersatzdienst (Zivildienst) verweigert, spricht man von einer „Totalverweigerung“. Unter dem Begriff der „Desertion“ (oder manchmal auch „Fahnenflucht“ genannt) wird wiederum die Flucht eines*r Soldat*in aus dem bereits angetretenen Militärdienst (in Friedens- oder Kriegszeiten) verstanden.

Geschichte

Die Ablehnung, an einem Krieg teilzunehmen, ist so alt wie der Krieg selbst. Mit der modernen Kriegsführung und der Einführung der Wehrpflicht gewann Wehrdienstverweigerung jedoch an Bedeutung. Erstmals eingeführt wurde die allgemeine Wehrplicht in Frankreich Ende des 18. Jahrhunderts, wodurch zeitgleich die erste explizite Form der Wehrdienstverweigerung entstand, die sich im Zuge der napoleonischen Eroberungen in weiten Teilen Europas ausbreiten sollte. So bezeichnete man im 19. Jahrhundert solche Personen als „réfractaires“ und später als „insoumnis“. Im 19. Jahrhundert wird auch die Verweigerung aus Gewissensgründen unter restriktiven Bedingungen in angelsächsischen und skandinavischen Ländern erstmals legal erlaubt. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges entwickelte sich im Jahr 1921 dann das erste weltweit organisierte Wehr- bzw. Kriegsdienstverweigerungsnetzwerk, nämlich „War Resisters’ International“ (WIR). Ein weiterer wichtiger Meilenstein war die Anerkennung des Rechts auf Wehrdienstverweigerung nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges.

Rechtliche Anerkennung

Seit dem Jahr 1987 ist das Recht auf Verweigerung des Kriegsdienstes ein von der UN anerkanntes internationales Menschenrecht (wird in der Regel aus dem Recht auf Gewissensfreiheit abgeleitet), das jedoch noch immer in vielen Ländern missachtet bzw. eingeschränkt wird. So gibt es beispielsweise in Israel, Südkorea oder der Türkei kein Kriegsdienstverweigerungsrecht. Außerdem geht der Trend zur Beseitigung der Wehrpflicht durch Berufsarmeen mit einer Verwerfung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung einher, da Berufssoldat*innen in den meisten Ländern kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung haben. Aber selbst dort, wo die Verweigerung rechtlich garantiert wird, lösen Kriegssituationen immer wieder Debatten darüber aus, wer tatsächlich den Kriegsdienst verweigern darf und wie der Ersatzdienst geleistet werden soll. Die UN kritisiert in diesem Zusammenhang, dass viele Staaten, die in Friedenszeiten ein Wehrdienstverweigerungsrecht aufweisen, dieses in Kriegszeiten aussetzen. Auch wird von der UN eine Amnestie (Straferlass oder Strafmilderung) von Deserteur*innen und Verweiger*innen gefordert. Eine weitere Problematik ist, dass vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Jahr 2011 zwar das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung anerkannt wurde, doch Artikel neun der Qualifikationsrichtlinie der EU zum Thema Asylrecht Kriegsdienstverweigerung nur dann als Berechtigung für einen Schutzstatus anerkennt, wenn die Verweigerung aufgrund von völkerrechtswidrigen (Kriegs-)Handlungen geschieht. Noch problematischer ist, dass diese Ausnahme für die Asylbehörden auch häufig mit entsprechenden Beweisen belegt werden müssen, die die betroffenen Personen nicht immer haben oder nicht genügend glaubhaft begründen können. Die derzeitige rechtliche Gestaltung in der EU wird daher vielfach von Menschenrechts-, Flüchtlings- und Friedensorganisationen kritisiert, die eine Überarbeitung des Asylrechts hinsichtlich dieser Thematik fordern (siehe beispielsweise „Object War Campaign“).

Gründe

Während die Definition von Verweigerung in ihren Anfängen auf die Frage des Gewissens fokussiert war, liegt der Schwerpunkt in der Bewegung heute auf der Ablehnung des Militärs allgemein oder auch in dem Umstand, dass für manche Personen der Zivildienst eine „sinnvollere Tätigkeit“ darstellt. Generell gibt es jedoch eine Vielzahl an Gründen, warum eine Person sich für eine Kriegsdienstverweigerung, Wehrdienstverweigerung oder Desertion entscheidet:

  • Politische Überzeugungen
  • Moralische Überzeugungen
  • Antimilitarismus
  • Religiöse Überzeugungen (z.B. bei den Zeugen Jehovas)
  • Kriegsbedingungen entsprechen nicht den Vorstellungen (v.a. bezüglich der Brutalität)
  • Die Ablehnung, an Kriegsverbrechen teilnehmen zu müssen
  • Situative Gründe (z.B. wird die spezifische Art des Krieges kritisiert, aber nicht alle Kriege an sich)
  • Gefühle wie Angst (um das eigene Leben und um die Familie), Heimweh oder Depression
  • Pragmatische Gründe (Berufslaufbahn, Ausbildung, Lebensplanung, Familie etc.)

Arten des Widerstandes

Neben dem öffentlichen Widerstand gegen den Krieg gibt es viele weitere Ansätze der Ablehnung. Um dem Krieg zu entkommen setzten beispielsweise im 19. und 20. Jahrhundert viele Männer auf Selbstverstümmelung oder die Selbstzufügung einer Krankheit. Als extreme Form der Verweigerung können Selbstmorde an der Front gesehen werden, wie etwa in den beiden Weltkriegen.  Auch die Fraternisierung („Verbrüderung“) mit dem Feind stellt eine gewisse Form der Verweigerung dar (z.B. im Ersten Weltkrieg oder generell in langjährigen Stellungskriegen). Zu den offeneren und konfrontativeren Formen der Verweigerung zählen wiederum etwa Revolten, Protestmärsche oder die Befehlsverweigerung.

Folgen: Gesellschaftliche Ausgrenzung und Bestrafungen

Allgemein gesprochen werden Deserteur*innen, Kriegsdienst- und Wehrdienstverweigerer*innen häufig gesellschaftlich ausgegrenzt und vorverurteilt. So wurde beispielsweise im Jahr 2008 in Israel ein Werbespot mit dem Slogan „Ein echter Israeli desertiert nicht“ ausgestrahlt. Sie gelten allgemeinhin als „feige Drückeberger*innen“ oder gar als „nationale Verräter*innen“. Für die Nationalsozialist*innen waren Deserteur*innen nicht nur gesellschaftlich wertlos, sondern wurden massenhaft hingerichtet (20.000 Personen). Deserteur*innen werden generell häufig am Feld mit dem Tod bestraft, demonstrativ exekutiert oder in streng geführte Strafbataillone verlegt. Auswirkungen gibt es manchmal auch für die angehörigen Familien (z.B.: im stalinistischen Russland).

„Stell dir vor, es ist Krieg und keine*r geht hin!“

Und dennoch entscheiden sich immer wieder Leute dazu, den Kriegsdienst zu verweigern. Wenn sie massenhaft werden und zivilgesellschaftlichen Rückhalt finden, dann können sie unter Umständen einen gesamtgesellschaftlichen Veränderungsprozess herbeiführen (z.B. in der Russischen Revolution 1917 oder der deutschen Revolution 1918). In der Friedensbewegung wird generell häufig auf folgenden alten, antimilitaristischen Slogan verwiesen: „Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin!“ ¹

(red) (Stand: Oktober 2022)

 

Links und Lesetipps

Connection e.V.: Homepage (abgerufen am 14.10.2022)

Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner*innen: Homepage (abgerufen am 14.10.2022).

Europäisches Büro für Kriegsdienstverweigerung: Homepage (abgerufen am 14.10.2022)

Internationale der Kriegsdienstgegner*innen (WRI): Homepage (abgerufen am 14.10,2022)

 

Brunnbauer, Davina (2018). Mehr als 10.000 Österreicher verweigern jährlich den Militärdienst (abgerufen am 14.10.2022)

Bundeszentrale für politische Bildung (2021). einfach POLITIK. Kriegsdienstverweigerung (abgerufen am 14.10.2022)

Friedrich, Rudi (2022). Schutz und Asyl bei Kriegsdienstverweigerung und Desertion in Zeiten des Ukraine-Krieges (abgerufen am 14.10.2022)

Hartmann, Johannes (2016). Die rätselhafte Parole. „Stell Dir vor, es ist Krieg, und Keiner geht hin“ (abgerufen am 14.10.2022)

Pucher, Johannes/Prugger, Daniela (2022). Kriegsdienstverweigerer im Ukraine-Krieg: Wenn Soldaten vor dem Einsatz flüchten (abgerufen am 14.10.2022)

Steiner, Julia (2022). Stell dir vor, es ist Krieg … (abgerufen am 14.10.2022)

War Resisters‘ International (2022). Right to Refuse to Kill (abgerufen am 17.10.2022)


Quellen:

Brunnbauer, Davina (2018). Mehr als 10.000 Österreicher verweigern jährlich den Militärdienst (abgerufen am 14.10.2022)

Bundeszentrale für politische Bildung (2021). einfach POLITIK. Kriegsdienstverweigerung (abgerufen am 14.10.2022)

Friedrich, Rudi (2022). Schutz und Asyl bei Kriegsdienstverweigerung und Desertion in Zeiten des Ukraine-Krieges (abgerufen am 14.10.2022)

Hartmann, Johannes (2016). Die rätselhafte Parole. „Stell Dir vor, es ist Krieg, und Keiner geht hin“ (abgerufen am 14.10.2022)

Key, Joshua (2007). Ich bin ein Deserteur. Hamburg

Offenstadt, Nicolas (2021). Rebellen und Verweigerer, in: Cabanes, Bruno (Hrsg.): Eine Geschichte des Krieges. Vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart, Bonn, 415-427.

Pucher, Johannes/Prugger, Daniela (2022). Kriegsdienstverweigerer im Ukraine-Krieg: Wenn Soldaten vor dem Einsatz flüchten (abgerufen am 14.10.2022)

Speck, Andreas (2007). Ein allgemeiner Überblick zur weltweiten Wehrdienstverweigerung, in: Spinnrad. Zeitschrift des Internationalen Versöhnungsbundes, Nr. 1.

Steiner, Julia (2022). Stell dir vor, es ist Krieg … (abgerufen am 14.10.2022)

Bildquelle:

Wikimedia (abgerufen am 14.10.2022)

 

Fußnoten:

¹ Sandburg, Carl (1930), zit. in: Hartmann, Johannes (2016). Die rätselhafte Parole. „Stell Dir vor, es ist Krieg, und Keiner geht hin“ (abgerufen am 14.10.2022)