„Die Besiegten“

Aus dem Roman „Annahmen über die Wüste“ von Dominique Sigaud

„Sie sitzen oder stehen im Schatten ihrer verkohlten Panzer, andere liegen auf dem Sand. Sie sehen in die Sonne, sie sehen nur noch die Sonne oder gar nichts mehr.
Ihre Haare sind grau geworden. Sie reden nicht miteinander, sie denken an ihre Heimkehr; sie haben den ganzen Krieg daran gedacht.

Die Jüngeren gehen mit verschlossenen Gesichtern auf und ab; sie sehen die älteren Soldaten, die ihre Väter sein könnten, nicht an, sie fürchten, sie könnten in ihren Augen zuviel Resignation und Ekel entdecken.

Sie sind weit weg von allen. Niemand kann sie sehen, da wo sie sind, auch nicht in Gedanken, und sie wissen es; sie glauben, daß sie niemandem etwas bedeuten, außer vielleicht ihrer Familie und ihren Nachbarn. Das war früher auch nicht anders. Doch früher war das nicht wichtig, sie waren in ihren Häusern und auf ihren Straßen, und ihr Leben war nicht bedrohter oder glücklicher als das aller anderen. Heute könnte der Gedanke, daß Fremde von ihnen wissen, an sie denken, etwas Rettendes an sich haben. Aber sie wissen, daß es keinen Sinn hat, darauf zu hoffen.
Das haben sie in diesem Krieg gelernt. Einige von ihnen haben Angst, an diesem Wissen zugrundezugehen.

Sie denken an die Kilometer, die sie in umgekehrter Richtung zurücklegen müssen. Wieder die Sonne, der Staub, die Müdigkeit. Die kalten, zu kurzen Nächte, und die Befehle. Sie haben Durst. Aber es fehlt an Wasser und an Nahrung. Es wird Nacht, und sie erinnern sich an die anderen, die desertiert sind, als die Flieger die Flugblätter über ihnen abgeworfen haben, in denen man sie aufforderte, sich zu ergeben. Sie wissen nicht, wo sie sich im Augenblick befinden. Auf den Flugblättern stand, daß sie nichts zu befürchten hätten. Einige sollen zwar behauptet haben, sie seien nach der Gefangennahme gefoltert worden, aber sie wissen nicht, ob das stimmt.

Sie sagten, sie wollten nicht sterben, und flüchteten; Tausende von ihnen dachten bereits so. Die älteren unter ihnen dachten an die gefallenen Söhne des vorigen Krieges und fragten sich, warum nach den Söhnen nun auch die Väter sterben sollten. Die anderen fragten sich, warum sterben, wenn sie doch niemandem etwas bedeuteten? Es gab noch genug Wein an den Hauswänden, um in aller Ruhe abzuwarten, bis ihre Stunde kam, und das war alles, was sie besaßen, nichts als die Tage, die ihnen zu leben blieben, bis zum Ende.

Sie wußten, daß man seine Ehre verlor, wenn man sich dem Feind ergab. Aber sie sagten sich, daß dies ein Krieg ohne Ehre geworden war, ein Krieg der Lügen.
Man hatte sie ausgeliefert. Die Rolle, die man ihnen zugedacht hatte, war zu sterben, sie waren nur dafür da. Tausende von ihnen verwesten bereits im Sand.“

 

Sigaud, Dominique: Annahmen über die Wüste. Berlin Verlag (1997). S. 11–13

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