Medien und Krieg

Die Medien spielen eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, wie viel Aufmerksamkeit ein Krieg erhält. Die Kommunikationswissenschafterin Elisabeth Klaus und SN-Journalist Helmut Müller im Interview über den CNN-Effekt, Kriegsbilder und die Zukunft der Kriegsberichterstattung.


Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass bestimmte Kriege größeres mediales Interesse auf sich ziehen und anderen kaum bis keine mediale Beachtung zu teil wird?

Müller: Objektiv betrachtet, sind für das Weltsystem oder Teile des Weltsystems manche kriegerische Konflikte wichtiger als andere. Zum Beispiel Israel-Palästina und der Nahe Osten: In dieser Weltregion liegt nicht nur ein erheblicher Teil der Weltressourcen, sondern auch der Ursprung dreier großer Religionen. Das Geschehen hier bestimmt wesentlich das Verhältnis zwischen den westlichen und der islamischen Welt. Zweitens sind manche kriegerische Konflikte wegen der „Nähe“ von größerer Bedeutung als andere. Der Balkan beispielsweise ist für Europa ein erstrangiger Brennpunkt, während etwa der Streit um die Westsahara zu einem „vergessenen Konflikt“ geworden ist. Berichtet wird häufig von Konfliktherden, bei denen wichtige Interessen des Westens, insbesondere der USA, auf dem Spiel stehen. Es gibt eine „Verstärker“-Wirkung in den Medien selbst. Sobald etwa CNN einen bestimmten Konflikt in das Scheinwerferlicht rückt, wird er auch für die anderen Medien der Welt zu einem Thema.

Klaus: Wie angesprochen, sind das eine die Aufmerksamkeitsregeln der Medien. Und demnach gibt es Kriege, die zentraler sind. Kriege, die z. B. in Europa stattfinden, sind für uns erst einmal wichtiger als Kriege, die nicht in Europa stattfinden. Kriege, in denen eine Elitenation wie die USA involviert sind, sind wichtiger als andere Kriege. Zudem haben wir ein gesellschaftliches Wertesystem, nach dem es – so böse das klingt – wertvollere und weniger wertvolle Menschenleben gibt. Und dass wir anhand dessen, welche Kriege und Opfer wir beachten, nicht nur in der Kriegsberichterstattung, sondern insgesamt in der außenpolitischen Berichterstattung, auch eine Wertigkeit einführen.

Die Menschenrechtsorganisation „Reporter ohne Grenzen“ (ROG) hat im Oktober eine Rangliste über die Pressefreiheit weltweit veröffentlicht. Einschränkungen der Pressefreiheit im Zusammenhang mit militärischen Einsätzen außerhalb der Landesgrenzen, z. B. Israel in den besetzten Gebieten oder die USA im Irak, sind keine Seltenheit. Welche Faktoren haben Ihrer Meinung nach Einfluss auf die Kriegsberichterstattung der Medien? Welche Abhängigkeiten können genannt werden? 

Müller: Die Frage des Zugangs der Medien ist ein wesentlicher Faktor. Israel etwa ist ein offenes, demokratisches Land. Das ermöglicht eine intensive, auch facettenreiche Berichterstattung über den israelisch-palästinensischen Konflikt – auch wenn Israel den Zugang zu den besetzten Gebieten bisweilen behindern mag. Anders im Fall Tschetschenien: Die russischen Stellen wollen BeobachterInnen möglichst fernhalten. In den Zeiten des Kalten Krieges hat die Bild-Berichterstattung über den Vietnam-Krieg zu Protesten inner- und außerhalb der USA geführt. Dagegen fehlten Bilder von der Intervention der Sowjets in Afghanistan, deswegen blieben Proteste weitgehend aus. Daraus haben die USA den Schluss gezogen, dass sie die Kriegsberichterstattung stärker kontrollieren müssten – im jüngsten Irak-Krieg etwa durch das Konzept der „embedded joumalists“. Da die USA mittlerweile die einzige Supermacht sind, hängt die Betrachtungsweise eines kriegerischen Konflikts mehr denn je von den „Vorgaben“ aus Amerika ab. In der Irak-Kontroverse etwa hat es eine große Rolle gespielt, dass die US-Medien, die US-Öffentlichkeit insgesamt, die Begründungen der Regierung Bush für diesen Feldzug nicht wirklich kritisch geprüft haben – eine Langzeitfolge des Terrors vom 11. September. Andererseits mussten die USA erfahren, dass die westlichen Sender kein „Monopol“ mehr haben. Arabische Sender wie Al Dschasira können konkurrierende Sichtweisen bringen und damit Stimmungen beeinflussen.

In ihrem Buch „Das Leiden anderer betrachten“ spricht die Trägerin des Friedenspreises des deutschen Buchhandels, Susan Sontag, die Wirkungen von Kriegsbildern an: Einerseits bewegen diese Bilder die Menschen, andererseits tragen sie zur Abstumpfung bei. Wie würden Sie die Wirkung von Kriegsbildern auf die RezipientInnen beurteilen und welche „Grenzen der Visualisierung“ müssen eingehalten werden?

Klaus: Es ist richtig, dass ein Bild mehr als tausend Worte sagt. Bilder sagen uns im Moment der Erkenntnis viel mehr als ein ganzer Artikel. Nur was sie uns sagen, korrespondiert nicht immer mit der Realität eines Krieges. Bilder besitzen eine ungeheure Suggestivkraft, verkürzen aber manchmal drastisch die Realität. Es gibt viele Beispiele des Missbrauchs von Bildern in Kriegen, die auch in Zusammenhang mit der Digitalisierung gesehen werden müssen. Jedes Bild kann verändert werden und diese Veränderungen bewirken eine andere Aussagekraft des Bildes. Wir assoziieren heutzutage bestimmte Kriege mit bestimmten Bildern. Den Vietnam-Krieg beispielsweise mit den Bildern der Napalm-verbrannten Kinder, die uns schreiend entgegenlaufen. Diese Bilder hatten eine aufklärerische Wirkung. Diese Bilder passten nicht zum Bild der US-Befreier. Für JournalistInnen wäre das höchste Ziel zu sagen: „Wir müssen Bilder finden, die der dominanten Kriegsnation entgegenlaufen, dem entgegenlaufen, was dominant gedacht wird.“
Das wäre ein Beitrag, einen Krieg stärker zu reflektieren. Und nicht nur durch Bilder zu bestätigen, die wir im Kopf haben oder die uns von Politik und Ökonomie aufgedrängt werden. Die Grenze der Visualisierung ist die Wahrung der Würde des Menschen. Ich finde schon, dass zu einer guten Kriegsberichterstattung auch gehört, Leid und Opfer zu zeigen. Denn Kriege „ohne mediale Opfer“ sind leichter zu legitimieren als Kriege mit Opfern.

„If it bleedes, it leads“ („Blut zieht immer“): Was denken Sie über diesen Satz in Zusammenhang mit der Kriegsberichterstattung in den Medien? 

Müller: Die Medien können die Welt nicht besser machen als sie ist. Krieg ist leider noch immer Realität auf unserem Planeten. Aber auch hier gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit: Um die Fratze des Krieges auszustellen, braucht es nicht blutverschmierte Menschen. Die Devise „Blut zieht immer“ ist nicht nur inhuman, sondern auch antiquiert in einer Welt, die mit visuellen Eindrücken zugeschüttet wird.

Welcher Zugang in der medialen Kriegsberichterstattung ist Ihrer Meinung nach vertretbar und somit zukunftsweisend?

Klaus: Die Medien haben eine Pflicht zur Friedensberichterstattung. Das heißt nicht Friedenspropaganda. Das heißt eine Berichterstattung, die Frieden denkbar macht, beispielsweise über Friedensinitiativen, über Hintergründe von Konflikten. Es geht dabei nicht um eine Opfer-Täter-Klassifizierung, sondern um die Verschränkungen innerhalb eines Krieges. JournalistInnen müssen sich einer solchen Berichterstattung und der Qualitätssicherung verpflichtet fühlen, um sie umsetzen zu können. Dass dies nicht immer möglich ist, hat uns der Irak-Krieg gezeigt: Es gab nur zensierte Berichte und Bilder. Einige Medien reagierten mit einem Zensur-Hinweis. Die RezipientInnen wurden aufmerksam gemacht, dass es sich um eine durch Propaganda geprägte Darstellung handelte.

Müller: Kriegsberichterstattung kann dem Schrecken nicht ausweichen, aber sie sollte vor allem die Perspektive der Opfer wählen. Sie sollte möglichst genau und unparteiisch die Hintergründe des Konflikts ausleuchten. Und sie sollte sich, wenn der Krieg vorbei ist und die TV-Teams abgezogen sind, auch um Folgen von kriegerischen Konflikten kümmern. (red)

Quellen und Lesetipps

Gerhard Paul. Bilder des Krieges. Krieg der Bilder. Die Visualisierung des Modernen Krieges. Schöningk. Paderporn 2004

Kranich 4/2003: Vergessene Kriege. Das Gespräch führten Katrin Hauer und Gudrun Danter.

Österreichisches Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung (Hrsg.): Gute Medien- Böser Krieg? Medien am schmalen Grat zwischen Cheerleadern des Militärs und Friedensjournalismus. Wien: Lit, 2007

Peter Bürger: Kino der Angst. Terror, Krieg und Staatskunst aus Hollywood. Stuttgart: Schmetterling-Verl., 2005